Drei Jahre ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil zur Sterbehilfe in Deutschland verkündete. Der zentrale Satz lautete: "Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen." Erst 2015 hatte der Bundestag ein Verbot sogenannter geschäftsmäßiger Hilfe bei der Selbsttötung verabschiedet, das auf Sterbehilfeorganisationen zielte. Dieses Verbot wurde in Karlsruhe gekippt. Suizidassistenz konnte wieder organisiert, sogar als Geschäftsmodell stattfinden.
Es dauerte nach dem Urteil einige Zeit, bis sich erneut Parlamentarier an eine Regelung machten. Ihr Ziel ist im Wesentlichen, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts rechtliche Klarheit für Sterbehelfer zu schaffen und zugleich dafür zu sorgen, dass Missbrauch ausgeschlossen wird. Gesucht wird eine Regelung, die sowohl dem Anspruch auf selbstbestimmtes Sterben als auch dem Lebensschutz genügt. Seit Anfang 2022 liegen dafür Vorschläge vor, die den Akzent dabei unterschiedlich setzen. Am Donnerstag soll der Bundestag über die Entwürfe abstimmen.
Eine Gruppe um Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CSU) und weiteren Initiatoren von Grünen, FDP und Linken hat einen Entwurf vorgelegt, der die geschäftsmäßige Suizidassistenz wieder unter Strafe stellen und nur unter Voraussetzungen ermöglichen würde. Zu den Bedingungen zählen eine psychiatrische oder psychotherapeutische Begutachtung sowie eine Beratung. Man wolle den assistierten Suizid "ermöglichen und nicht fördern", sagte Castellucci dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wir wollen in die Suizidprävention investieren, nicht in flächendeckende Suizidberatung", ergänzte er.
Dieser Vorwurf zielt auf den Konkurrenzentwurf. Die Gruppen um die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr und die Grünen-Politikerin Renate Künast (Grüne) hatten ihre ursprünglich verschiedenen Entwürfe erst kürzlich zusammengelegt und wollen damit die Stimmen für ein liberales Gesetz auf einen Vorschlag versammeln. Ihr Plan sieht eine Regelung ähnlich der des Schwangerschaftsbruchs vor, allerdings außerhalb des Strafgesetzes. Suizidassistenz wäre nach einer Beratung möglich. In medizinischen Härtefällen soll ein Arzt auch ohne Beratung tödlich wirkende Mittel verschreiben dürfen. In der Grundhaltung gehe es um den Respekt vor dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sagte Helling-Plahr.
Wie die Abstimmung ausgeht, ist völlig offen. Beide Entwürfe werden von Abgeordneten aus mehreren Fraktionen unterstützt, abgestimmt wird nicht entlang von Parteigrenzen. Die Gruppe um Helling-Plahr hat rund 150 Unterstützer und Unterstützerinnen, die von Castellucci rund 130, wie aus den Büros zu erfahren war. Eine Mehrheit der 736 Mitglieder des Parlaments ist offenbar noch unentschieden.
Angenommen wäre am Donnerstag ein Entwurf, wenn er die einfache Mehrheit, also mehr Ja- als Nein-Stimmen erhält. Damit ist auch möglich, dass beide Entwürfe durchfallen. Passiert ist das in dieser Wahlperiode bereits einmal bei der Gewissensabstimmung über die Impfpflicht.
Diakoniepräsident warnt vor Normalisierung
Außerhalb des Parlaments gibt es nicht wenige, die das nicht unbedingt bedauern würden. Die Kritik aus Fach- und Sozialverbänden ist groß. Die Liste derer, die sich mit keinem der beiden Entwürfe anfreunden konnten, wurde zuletzt immer länger. Zu ihnen gehören das Nationale Suizidpräventionsprogramm und der Paritätische Wohlfahrtsverband. Der frühere Ethikratsvorsitzende Peter Dabrock veröffentlichte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Gastbeitrag mit einem Appell, auf das Gesetz zu verzichten.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie warnte, der Aufbau eines Beratungs- und Begutachtungssystems hätte den paradoxen Effekt, dass Normalisierung eintrete. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) konnte sich zu keiner konkreten Empfehlung durchringen, die sie beim Gesetz 2015 noch abgab. Wie andere auch fordern sie vor dem Suizidassistenz-Gesetz ein Suizidpräventionsgesetz.
Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt, dessen Berufsstand in beiden Vorschlägen eine zentrale Rolle spielen soll, äußerte sich zuletzt richtiggehend verärgert über die Aufsetzung der Abstimmung noch vor der Sommerpause. Über die erst kürzlich erfolgten Änderungen an den Entwürfen sei nicht ausreichend debattiert worden, sagte er und forderte, die Entscheidung noch einmal zu vertagen. Die Debatte hat diesmal in seinen Augen "nicht den ausreichenden Grad von Ernsthaftigkeit".