Gegen den Sparkurs der Evangelischen Landeskirche in Baden regt sich in einem nordbadischen Dorf der Volkszorn. Mit der Initiative "Dorfkirchen retten" setzt sich die Kirchengemeinde Obrigheim (Neckar-Odenwaldkreis) aktiv für den Erhalt der Dorfkirche im Ortsteil Mörtelstein ein. "Wir wollten gehört werden", sagten Silke Becker und Bettina Zeus dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Kirchengemeinderätinnen fürchten um den Fortbestand der Christuskirche mit Fresken aus dem 13. Jahrhundert - dem "letzten kirchlichen Gebäude im Ort", wie sie betonen. Eine erste Aktion der Initiative war Mitte Juni ein "Thesenanschlag" an allen evangelischen Kirchen im Raum Mosbach, der über den Strategieprozess der Landeskirche informierte.
Der 2020 eingeleitete Strategieprozess "ekiba 2032" sieht weitreichende Sparmaßnahmen vor. Eine wichtige Rolle spielen dabei kirchliche Gebäude. Wegen sinkender Mitgliederzahlen und hoher Erhaltungs- sowie Investitionskosten sollen "bis 2050 aus ökonomischen Gründen 70 Prozent der 2.100 kirchlichen Gebäude aus der Kirchensteuerfinanzierung herausgenommen werden", sagte Becker.
Rund 110 Millionen Euro im Jahr gibt die Landeskirche mit Sitz in Karlsruhe aus, um die Gebäude auf dem heutigen Stand zu erhalten. Künftig seien nur noch 40 Millionen Euro jährlich möglich, sagte der Leiter des Finanzreferates, Oberkirchenrat Martin Wollinsky. Betroffen sind neben Gemeindezentren und -häusern auch Kirchengebäude.
Kirchenleitung überrascht
"Bis Ende 2023 sollen alle 700 Kirchen eingestuft sein", so Wollinsky. Auch Pfarrhäuser könnten von den Einsparungen betroffen sein. Die genauen Regelungen dazu würden derzeit erarbeitet. Alle kirchlichen Gebäude sollen priorisiert werden. Das heißt, sie werden nach Ampelfarben in grün, gelb oder rot eingeteilt. Ein mit Grün bewertetes Gebäude erhält weiterhin Gelder aus der Kirchensteuer. Gelb bedeutet, die Finanzierung ist in der Schwebe, Rot bedeutet, das Gebäude fällt aus der Finanzierung durch die Landeskirche heraus.
Klar ist: Die Ressourcen sind begrenzt, sie reichen nicht aus, um alle kirchlichen Gebäude zu halten. Man habe damit gerechnet, dass der Strategieprozess nicht nur auf Gegenliebe stoße, sagte Wollinsky. "Die Professionalität der Mörtelsteiner Initiative hat mich doch überrascht", räumte er ein. Laut landeskirchlichen Angaben hat es Proteste in dieser Art bisher noch nicht gegeben.
Hoffnung auf Mobilisierung vor Ort
Die Zukunft der Christuskirche in Mörtelstein, die mit Gelb klassifiziert ist, steht auf der Kippe. Sie erhält nur noch geringe Gelder von der Landeskirche. Die Gemeinde muss die Bewirtschaftungskosten tragen und befürchtet, diese Summe nicht stemmen zu können, sagen Silke Becker und Bettina Zeus. Sie sehen ihre Kirche als Verliererin der Priorisierung. Eine realistische Chance "wieder Grün zu werden" gebe es für die Christuskirche nicht.
Wollinsky tritt solchen Ängsten entgegen: Selbst ein mit Grün bewertetes Gebäude in einem Teilort führe nicht "automatisch" zur Einstufung "Rot" im anderen Teilort. Eine "Mischung aus Eigenverantwortung durch die Kirchengemeinde und Unterstützung von außen" sei denkbar. "Ich habe die Hoffnung, dass die Kirchen vor Ort Kräfte mobilisieren", sagte der Finanzexperte mit Blick auf Beispiele im Osten Deutschlands.
Im Norden Baden-Württembergs stünden viele historische Kirchengebäude. Sie würden nach Aussage Wollinskys jedoch nicht abgerissen oder verkauft. Was mit ihnen stattdessen geschehen soll, ist offen. "Es ist klar, dass wir hier noch Lösungen brauchen", sagte er.
"Die Kirche darf sich nicht selbst abschaffen", kritisieren Becker und Zeus den derzeitigen Kurs der Landeskirche: "Kirchengebäude sind ein Symbol", heben sie die identitätsstiftende Bedeutung hervor. Gerade Dorfkirchen seien ein Ort, "an dem sich Menschen versammeln".