Wer einmal Bühnenluft geschnuppert hat, kommt nicht mehr los: Auf Pfarrer Jörg Gemkow aus dem niederbayerischen Neufahrn, auch Opernsänger und Chorleiter, trifft diese Theaterweisheit auf jeden Fall zu. "Als ich gelesen habe, dass für das Festspiel im Umfeld des Landshuter Rathauses neue Darsteller gesucht werden, wollte ich unbedingt dabei sein", sagt er. Kein Wunder, dass der Sänger mit Bühnenerfahrung beim Casting zur Landshuter Hochzeit überzeugte. Ab 30. Juni schlüpft der 63-jährige Theologe nun raus aus dem Talar und rein ins Gewand eines Ratsherrn aus dem 15. Jahrhundert.
Voraussetzungen, eine der begehrten Rollen für die Landshuter Hochzeit zu ergattern, sind: Wohnsitz in Stadt oder Landkreis Landshut, Vereinsmitgliedschaft beim Veranstalter "Die Förderer" - und die Haarlänge. Die Frisuren der Darsteller sollen schließlich der Mode im Mittelalter entsprechen. Beim Vorsprechen dachte Gemkow deshalb, mit seinen langen Haaren punkten zu können, erzählt er. Nach einem Jahr ohne Haarschnitt: "Ich sehe inzwischen ganz schön wild aus."
Aber darum sei es beim Casting kaum gegangen. "Es war wie auf der Hochschule für Theaterausbildung, wo wir bewegungstechnisch durchgeschleift wurden und zeigen mussten, dass wir improvisieren können." Drei Tage lang war er im Rennen um die Besetzungen. "Jetzt bin ich froh, dass es keine riesengroße Rolle geworden ist, wo ich auch mehr Text hätte lernen müssen", erzählt er. "Für ein Laientheater ist das schon alles ziemlich professionell."
Gemkow war Sänger bei den Leipziger Thomanern und nach einem Musikstudium am Landestheater Altenburg in Thüringen engagiert. Doch er ließ den staatlichen Kulturbetrieb der DDR hinter sich und studierte mit 26 Jahren evangelische Theologie in Berlin. Die friedensbewegte und regimekritische Kirche in der DDR hatte es ihm angetan, erzählt er. Seine erste Pfarrstelle trat er nach der Wende von 1989 im brandenburgischen Königs Wusterhausen an.
Später in der Berliner Nikodemus-Kirche vereinte er seine musikalische Begabung wieder mit den Aufgaben des Pfarramts: Entweder sang Gemkow selbst im Gottesdienst oder er holte Gäste wie Startenor Rolando Villazón in den Altarraum. Seit 2014 hat er die Pfarrstelle in Neufahrn inne - und schauspielert als Ausgleich zum Beruf.
Alle vier Jahre gehen die Festspiele über die Bühne. Wegen der Corona-Pandemie war die Spielzeit 2021 ausgefallen und auf 2023 verschoben worden. Mehr als 2400 Mitwirkende sind nun bei dem gut dreiwöchigen Spektakel dabei. Das Festspiel 2023 soll erstmals in einer neuen Fassung auf die Bühne gebracht werden. Die Rollen seien "neuartig und spannend", sagte Autor Benedikt Schramm.
In dem Historienspiel wird die Hochzeit von Herzog Georg dem Reichen von Bayern-Landshut mit Hedwig von Polen im Jahr 1475 nachempfunden. Regisseur Stefan Tilch hatte bereits im vergangenen Herbst angekündigt, dass das Stück "ein großer Wurf" sei. Benedikt Schramm sei es gelungen, "ein neues Genre zu kreieren, das inhaltlich sehr berührt und mitreißt".
Gemkow zufolge geht es im neuen Stück nicht mehr um die Sicht der höfischen Ehrengäste. "Es ist aus Sicht der einfachen Leute geschrieben", sagt er In der Ratsherren-Szene, bei der er mitspiele, werde die Liebelei einer Brauereitochter mit einem polnischen Edelmann erzählt. Diese sollte eigentlich an einen jungen Ratsherrn verheiratet werden, um die Aufnahme in den Rat der Stadt zu sichern. "In feucht-fröhlicher Runde wird schon die Mitgift verhandelt. Schlussendlich wird aus der Verbindung aber nichts, weil die Brauereitochter sich in einen anderen verliebt hat."
Gemkow ist begeistert: "Mir steht der Mund offen, wenn ich erlebe, was da für eine Lebendigkeit und barocke Fröhlichkeit herrscht. Ich glaube, das gibt es nur in Bayern so." Das Ensemble mit seinen mehr als 2400 Darstellern sei "wie eine große Familie". Für die Aufführungszeit hat der Pfarrer sich Urlaub genommen, erzählt er. Und danach: "Müssen die Haare ab. Meiner Frau gefallen sie nicht." Nun überlege er, ihr ein kleines Kissen zu schenken - gefüllt mit Haaren.