Den Atlantik kennt Nora Steen aus ihrer Zeit als Pastorin in Lissabon. An der Nordsee lebt sie seit 2018. Jetzt nimmt die Theologin Kurs auf die Schlei: Am 24. Juni tritt die Leiterin des Breklumer Christian-Jensen-Kollegs (CJK) bei der Bischofswahl für den Sprengel Schleswig und Holstein der evangelischen Nordkirche an. Für das Amt kandidiert auch der Husumer Pastor Friedemann Magaard (58). Er ist der jüngere Bruder des jetzigen Bischofs Gothart Magaard (67), der am 1. November in den Ruhestand geht.
"Wir brauchen in der Nordkirche einen Aufbruch, mit den Stimmen der jüngeren Menschen. Und dafür stehe ich", sagt die 46-Jährige dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Mitgliederschwund lasse sich zwar nicht aufhalten, alternative Finanzierungskonzepte zur Kirchensteuer könnten ihn aber abmildern, findet sie. Außerdem möchte sie die Menschen in den Kirchengemeinden dazu ermutigen, den Wandel hin zu lebendigen Gemeinden mit weniger Mitgliedern aktiv mitzugestalten.
Als erste Frau im Schleswiger Bischofsamt würde sie nahbar und authentisch sein wollen. Machtkämpfe seien ihr zu anstrengend, für Eitelkeiten habe sie keine Zeit. "Meine Familie und meinen Beruf liebe ich sehr. In beiden Bereichen bin ich mit guter Bodenhaftung unterwegs", sagt Steen, die mit ihrem Mann drei angenommene Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren hat.
Die gebürtige Braunschweigerin wuchs mit theologischem Hintergrund auf, ihr Vater ist Pastor im Ruhestand. Eigentlich strebte sie als Teenager eine Musikkarriere an. Mehrere Stunden am Tag übte sie Querflöte, nahm an "Jugend musiziert"-Wettbewerben teil. "Ich merkte aber, dass dieser Konkurrenzkampf mir die Freude an der Musik zerstört."
Nach dem Abitur ging sie für ein soziales Jahr nach Südindien. Dort lernte sie Vertreter unterschiedlicher Religionen kennen und las viele Bücher der evangelischen Theologin Dorothee Sölle (1929-2003), um ihr Wissen über das Christentum zu vertiefen. Aus Interesse an philosophischen und religiösen Fragen studierte sie schließlich in Leipzig, Berlin und Göttingen evangelische Theologie.
Die Berufung zur Pastorin kam während des Studiums. Nora Steen erkrankte schwer, lag lange im Krankenhaus. Trotzdem fand sie die Kraft, in dieser Zeit anderen Patienten Mut zu machen. "In dieser Zeit habe ich gespürt, wie fest verankert ich in meinem Glauben bin, und dass ich das anderen auch vermitteln kann."
Nach ihrem Vikariat im niedersächsischen Hameln arbeitete Steen als Studienleiterin an einem Ökumenischen Institut in Genf und als Geschäftsführerin des Kulturjahres "Michaelis2010" in Hildesheim. Drei Jahre lang lebte sie mit ihrer Familie in Lissabon, wo sie mit ihrem Mann die Deutsche Evangelische Kirchengemeinde betreute. 2018 bot die Nordkirche ihr die CJK-Leitung an, die Familie zog nach Breklum.
Sie ist Mitglied der Landessynode und war vielen schon vor ihrem Wechsel nach Breklum als Sprecherin von Radioandachten im NDR bekannt. Von 2011 bis 2015 sprach sie in der ARD fünf bis sechs Mal im Jahr das "Wort zum Sonntag".
Bei den Online-Plattformen Facebook und Instagram gibt sie regelmäßig Einblicke in ihr Seelen- und Familienleben. Oft postet sie Fotos von der Nordsee mit Gedanken zum Auf und Ab im Alltag. Gelegentlich sind auch verpixelte Fotos ihrer Kinder zu sehen.
"Ich habe klare Grenzen bei dem, was ich poste und was nicht. Trotzdem stelle ich fest, dass viele Menschen sich in meinen Erzählungen wiederfinden", so Steen. Aus dem Feedback erkenne sie die große Relevanz von Seelsorge in den sozialen Medien. "Viele Menschen öffnen sich nur auf diesen Kanälen."
Auch dort sei Natürlichkeit der Schlüssel. "Die Menschen müssen merken, dass ich lebe, was ich erzähle. Moralische Reden von der Kanzel reichen heute nicht mehr."
Viele Menschen nähmen kirchliche Angebote wahr, obwohl sie keine Kirchensteuer zahlten. Menschen, die hoch verbunden sind mit der Kirche, träten aus, weil sie das System der Mitgliederbeiträge nicht mehr unterstützen könnten. "Wir müssen schnell Lösungen finden und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen eingehen", sagte Steen. Der Sprengel Mecklenburg und Pommern habe dazu bereits Modelle entwickelt, die man vielleicht auch andernorts übernehmen könne.
"Kirche macht wertvolle Arbeit in den Gemeinden, in den Kommunen, das sollten wir nicht aufgeben", erläuterte Steen. 30 Prozent der Kitas in Schleswig-Holstein seien in kirchlicher Trägerschaft. Kirche betreibe Tafeln, Krankenhäuser, mache Senioren- und Jugendarbeit. "Viele Menschen sind einsam, da haben wir Gemeinschaft anzubieten."
Es werde zudem genau wahrgenommen, inwieweit Kirche sich in den Sozialraum vor Ort einmische, Räume für Gemeindeversammlungen oder den Schützenverein bereitstelle. Das habe meistens einen positiven Effekt. "Wenn Kirchengemeinden sich öffnen, werden sie nahbar und kommen auch mit kirchenfernen Menschen in Kontakt", so Steen.
Dass die Nordkirche bis 2035 klimaneutral sein will, hält die Theologin für richtig. "Die Klimakrise ist aber kein exklusives Kirchenthema. Es ist unsere Bürgerpflicht, unser Verhalten zu ändern und dem Klimawandel zu begegnen." Die Kirche müsse sich vor allem die Frage stellen, wie sie für die Menschen da sein kann.