Die Bilder gingen vor anderthalb Jahren um die Welt: Im neuseeländischen Christchurch bebt die Erde, fast 200 Menschen verlieren ihr Leben. Das Wahrzeichen der Stadt, die anglikanische Kathedrale, wird schwer beschädigt, vom Turm bleiben nur ein Stumpf und tausende Trümmer übrig. Das berühmte Rosenfenster fällt wenige Monate einem Nachbeben zum Opfer. Inzwischen ist klar, dass das Gotteshaus komplett abgerissen werden muss. Übergangsweise hat der japanische Architekt Shigeru Ban eine Ersatzkirche errichtet – aus Stahl, Beton und Pappe.
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Die Katastrophe vom Februar 2011 hat nicht nur eine weltweite Welle der Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft ausgelöst, sondern lenkte den Blick zugleich auf die religiösen Traditionen im Partnerland der diesjährigen Buchmesse. Schon dass eine der größten Städte Neuseelands "Christchurch" heißt, also Kirche Christi, fällt ins Auge. Der Name verweist auf das gleichnamige College der Oxford University in England – Neuseeland ist britisch geprägt, weswegen die anglikanische Kirche eine wichtige Rolle spielt. Doch mit einem Anteil von rund 14 Prozent der Bevölkerung liegt sie nach der Zahl der Gläubigen nur knapp vor den Katholiken (13 Prozent) und den Presbyterianern (10 Prozent).
Die anglikanische Kathedrale von Christchurch nach dem Erdbeben. Links vorne die Reste des eingestürzten Turms. Foto: dpa
Insgesamt bekennt sich mehr als die Hälfte der Neuseeländer zum Christentum. Das hat mit der europäischen Prägung des Landes zu tun. Zwei Drittel der Bewohner haben ihre Wurzeln auf dem Alten Kontinent – von den Maori werden sie "Pakeha" genannt. Neben kleinen Gruppen von Methodisten, Baptisten und Lutheranern finden Pfingstkirchen und charismatische Bewegungen zunehmende Verbreitung in dem pazifischen Inselstaat. Darüber hinaus gibt es buddhistische, hinduistische, islamische und jüdische Gemeinschaften. Ein knappes Drittel der Bevölkerung bezeichnet sich nach der Volkszählung von 2006 als konfessionslos.
Das Land der großen weißen Wolke
Doch auch die Maori sind überwiegend Christen. Seit dem 13. Jahrhundert aus Polynesien eingewandert, nennen sie ihre Heimat "Aotearoa", Land der großen weißen Wolke – nicht Neuseeland, wie es der niederländische Seefahrer Abel Tasman nannte, der 1642 als erster Europäer hier anlandete. Ihm folgte James Cook, im 19. Jahrhundert kamen die Missionare. An Weihnachten 1814 predigte Samuel Marsden, aus Sydney kommend, zum ersten Mal an der Bay of Islands. Mission und Kolonialismus waren zwei Seiten einer Medaille: 1837 übersetzen Anglikaner das Neue Testament in die Maori-Sprache, drei Jahre später erkannte die Urbevölkerung die britische Krone im Vertrag von Waitangi als Herrscher an.
Über viele Jahrzehnte war das Verhältnis der Indigenen zu den christlichen Missionaren und Siedlern von Konflikten geprägt. Die Maori ließen sich zwar taufen, behielten aber ihre alte Spiritualität bei und versuchten auch sprachlich und künstlerisch, ihre eigene Identität zu bewahren. Mit der europäisch geprägten Kirchlichkeit konnten sie wenig anfangen. Die Pakeha versammeln sich um zu beten, die Maori beten, wann immer sie sich versammeln – so die prägnante Unterscheidung. Die Christianisierung gelang dennoch, da den Maori die monotheistische Tradition nicht fremd war: Ihr Gott Io gilt als Schöpfer des Weltalls, der auch Ranginu (Vater Himmel) und Papatuanuku (Mutter Erde) erschaffen hat.
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Innerhalb der christlichen Konfessionen genießen die Ureinwohner bis heute Privilegien, etwa eigene Bischöfe oder Synoden. Viele Maori sind aber nicht in den europäisch geprägten Kirchen zu Hause, sondern in eigenen Gemeinschaften wie Ringatu und Ratana. Ringatu bedeutet so viel wie "erhobene Hand", das Wort stammt aus Psalm 141,2. Die Kirche wurde 1868 von Te Kooti Arikirangi Te Turuki (1830-1893) im Protest gegen Weiße und Missionare gegründet. Die Priester, "tohunga" genannt, tragen keine spezielle Kleidung, es gibt auch keinen Sonntagsgottesdienst, sondern Feierlichkeiten an jedem 12. des Monats. Das Abendmahl wird nicht real verstanden, da es die Gläubigen zu sehr an Kannibalismus erinnern würde.
Das Mundstück Gottes
Die Ratana-Bewegung grenzt sich stärker gegen die herkömmliche Spiritualität der Ureinwohner ab. Gegründet wurde sie von dem Farmer Tahupotiki Wiremu Ratana (1873-1939), der seit 1918 nach eigenen Angaben Offenbarungen empfing und Wunderheilungen vornahm. Seine Kirche war zunächst interkonfessionell, doch Anglikaner und Katholiken distanzierten sich bald. Ratana verurteilte den "Aberglauben" der Maori und postulierte statt der christlichen Dreifaltigkeit eine Fünfheit aus Vater, Sohn, Geist, sogenannten getreuen Engeln sowie dem "Mundstück Gottes", nämlich Ratana selbst.
Politisch steht die Bewegung traditionell der neuseeländischen Arbeiterpartei nahe und übt einen gewissen Einfluss aus – trotz einer relativ geringen Mitgliederzahl von 35.000, wenn man von insgesamt etwa 600.000 Maori ausgeht. Die Ureinwohner sind übrigens relativ gleichmäßig über das Land verteilt, während die italienisch und kroatisch dominierten Katholiken ihre Zentren in den Großstädten der Nordinsel haben und die Presbyterianer, Nachfahren der schottischen Einwanderer, eher im Süden anzutreffen sind. Christchurch übrigens, an der Westküste der Südinsel gelegen, gilt als "britischste" Stadt Neuseelands – hier sind die Anglikaner noch in der Mehrheit.