Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) haben die EU nach der jüngsten Bootstragödie vor Griechenland mit vermutlich Hunderten Toten zu entschlossenem Handeln aufgerufen. Weitere Todesfälle wie bei dem schlimmsten Unglück im Mittelmeer seit mehreren Jahren müssten verhindert werden, verlangten das UNHCR und die IOM am Freitag in Genf. Das Fischerboot mit bis zu 750 Flüchtlingen an Bord war am Mittwoch westlich der Halbinsel Peloponnes gekentert. Etwa 100 Überlebende wurden gerettet und bislang rund 80 Leichen geborgen.
Die EU müsse Sicherheit und Solidarität in den Mittelpunkt ihres Handelns im Mittelmeerraum stellen. Dazu gehöre die Einrichtung eines regionalen Ausschiffungs- und Umverteilungsmechanismus für Menschen, die auf dem Seeweg ankommen, sagte Gillian Triggs, stellvertretende UNHCR-Hochkommissarin für Schutz.
Es sei klar, dass der derzeitige Ansatz der EU für das Mittelmeer nicht funktioniere, sagte Federico Soda, IOM-Direktor für Notfälle. Jahr für Jahr sei das Meer zwischen Europa und Afrika die gefährlichste Migrationsroute der Welt mit der höchsten Todesrate. Die Staaten müssten sich zusammentun und die Lücken bei der aktiven Suche und Rettung sowie den sicheren Wegen schließen. Bei diesen gemeinsamen Bemühungen sollten die Rechte der Migranten und die Rettung von Menschenleben im Mittelpunkt stehen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM), starben bei der Überquerung in diesem Jahr bislang mehr als 1.300 Menschen oder sie werden vermisst.
Friedhöfe im Mittelmeer reihten sich aneinander
Nach Einschätzung von Pro Asyl hätten sowohl Frontex als auch die griechischen Behörden handeln müssen. "Sie hätten sofort Rettungsmaßnahmen einleiten müssen. Denn das Schiff befand sich in der griechischen Seenotrettungszone", sagte der Leiter der Europaabteilung der Menschenrechtsorganisation, Karl Kopp, dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND). Es sei nicht zu verstehen, dass nichts geschehen sei. "So sieht es aus wie orchestrierte Sterbebegleitung." Die Friedhöfe im Mittelmeer reihten sich aneinander.
Wie Pro Asyl machen zahlreiche Menschenrechts- und Seenotrettungsorganisationen die EU und Frontex aufgrund ihrer Abschottungspolitik mitverantwortlich für den Tod der Menschen. In der griechischen Hauptstadt Athen gingen am Donnerstag Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die griechische und europäische Flüchtlingspolitik zu demonstrieren. Für die kommenden Tage sind europaweit Protestaktionen geplant.
Frontex: Irreguläre Migration habe sich verdoppelt
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex gab derweil bekannt, dass sich die irreguläre Migration über das zentrale Mittelmeer in diesem Jahr mehr als verdoppelt hat. Über 50.300 Männer, Frauen und Kinder hätten die EU von Januar bis Mai über diese Route und ohne Einreiseerlaubnis erreicht, teilte Frontex am Freitag mit. Das sei ein Anstieg um 160 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und die höchste erfasste Zahl seit 2017. Das zentrale Mittelmeer bleibe damit die Hauptroute für Migrantinnen und Migranten in die EU.
Nach Angaben des Frontex-Chefs Hans Leijtens wusste seine Behörde seit Dienstag von dem überfüllten Fischerboot vor der griechischen Küste. Frontex habe es den griechischen Behörden gemeldet, sagte er der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag) . Menschenrechts- und Seenotrettungsorganisationen machen die EU und Frontex aufgrund ihrer Abschottungspolitik mitverantwortlich für den Tod der Menschen. In der griechischen Hauptstadt Athen gingen am Donnerstag Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die griechische und europäische Flüchtlingspolitik zu demonstrieren. Für die kommenden Tage sind europaweit Protestaktionen geplant.
Besatzungsmitglieder festgenommen
Unterdessen sollten die am Donnerstag festgenommenen Besatzungsmitglieder des gekenterten Fischerbootes bis Montag eine Aussage machen. Die neun Männer, die nach Medienberichten aus Ägypten stammen, würden des Schleusertums verdächtigt und wegen der Bildung einer kriminellen Organisation angeklagt, berichtete die griechische Zeitung "Kathimerini" am Freitag in ihrer Online-Ausgabe. Sie hätten um Zeit bis Montag gebeten, um ihre Aussage vorzubereiten. Acht des Festgenommenen befinden sich dem Bericht zufolge in der Polizeistation der Hafenstadt Kalamata, einer im lokalen Krankenhaus.
Auch private Seenotrettungsorganisationen wie die spanische Organisation "Open Arms" kritisierten die griechischen Behörden scharf: "Sie haben Hunderte Menschen vor ihren Augen sterben lassen", hieß es. "Die Behörden waren auf dem Laufenden viele Stunden vor dem Schiffsunglück und niemand hat sie gerettet." Über 100 Kinder und Frauen seien ertrunken. Die Menschen an Bord seien fünf Tage und Nächte ohne Essen oder Wasser gewesen.
SOS Méditerranée erklärte: "Das Leben von in Seenot geratenen Menschen nicht zu retten, ist ein Verbrechen." Das Sterben hätte verhindert werden können.
Zum internationalen Flüchtlingstag am 20. Juni organisiert die Berliner Landeskirche eine Gedenkveranstaltung, bei der ab dem17. Juni um 10 Uhr 32 Stunden lang ununterbrochen die Namen der Menschen verlesen werden, die seit 1993 auf der Flucht nach Europa gestorben sind. Die Veranstaltung findet in der Passionskirche am Marheinekeplatz in Berlin statt.
Unter den Lesenden ist auch Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO): "Noch immer ertrinken Menschen auf der Flucht im Mittelmeer, weil sie nicht gerettet werden, weil sie nicht an Land gelassen werden. Diese Menschen haben einen Namen. Sie alle haben ihre ureigene Geschichte, Familien und Freunde, die sie lieben. Wir müssen an diese Menschen und ihre Schicksale, an ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben und Träume erinnern."
Auch die Diakonie Württemberg hat sich zu der Tragödie im Mittelmeer geäußert. Laut einer Pressemitteilung zeige das Unglück deutlich die Notwendigkeit eines Umsteuerns in der Asylpolitik auf. Die Beschlüsse der EU-Kommission zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) führten aber im Gegenteil zu einer Verschärfung des Asylrechts. "Wir halten es für falsch, Migration um jeden Preis zu begrenzen. Es gilt jetzt legale und sichere Fluchtwege zu ermöglichen", sagt Oberkirchenrätin Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg.