Im schlimmsten Fall könnte dann durch einen Abriss von Kirchen auch im dörflichen Bereich ein Teil der Kulturlandschaft unwiederbringlich verschwinden, warnt Birgit Franz.
epd: Frau Franz, fast in jedem Dorf steht eine Kirche, doch diese bleibt immer öfter leer. Sind die Tage der Dorfkirchen gezählt?
Birgit Franz: Das kann man so nicht sagen. Doch auch sie stehen vielerorts auf dem Prüfstand. Eine Dorfkirche ist oft ein regelrechtes Kleinod in der kulturellen Landschaft und teils auch die einzige öffentliche Versammlungsmöglichkeit in einer Ortschaft. Wenn diese Wirkräume in Gefahr geraten, dann finden sich auch Leute, die diese bewahren wollen. Klar ist aber auch, dass in der Fläche Kirchen zu verschwinden drohen und dass damit ein Teil der Kulturlandschaft und des kulturellen Erbes unwiederbringlich verloren gehen könnte.
Das klingt sehr drastisch.
Franz: Bis zum Abriss einer Kirche ist es ein weiter Weg, emotional und faktisch. Viele Kirchen werden weiterhin für Gottesdienste genutzt, aber diese Mono-Nutzung wird nicht für alle Gebäude ausreichen. Daher wäre eine erweiterte Nutzung von der Kirchengemeinde gemeinsam mit weiteren Partnern vielerorts ein gutes Mittel, um die Gotteshäuser besser auszulasten.
Sollte selbst das nicht möglich sein - doch bitte erst dann - könnte über eine Umnutzung nachgedacht werden, also eine entwidmete Kirche, die eventuell auch baulich stark verändert wird und in der dann keine Gottesdienste mehr stattfinden. Wenn all diese Möglichkeiten nicht gegeben sind, eine Kirche also leer steht und niemand sie erhalten will oder kann, dann könnte es zum Abriss kommen. Solche unwiederbringlichen Schritte gilt es jedoch durch kluges Agieren zu vermeiden.
Wie könnte denn eine erweiterte Nutzung einer Kirche aussehen?
Franz: Da gibt es viele Ansätze und Möglichkeiten. Beliebt und weitverbreitet sind Kulturkirchen. Und Kolumbarienkirchen - auch Urnenkirchen genannt - sind bereits vielerorts zu finden, inzwischen auch in ländlichen Räumen. Doch erweiterte Nutzungen werden über das inzwischen gewohnte hinausgehen müssen. So gibt es erste Herbergskirchen, Gotteshäuser, in denen übernachtet werden kann. Auch Kirchenbereiche als Co-Working-Orte sind denkbar - also als zeitlich begrenzt zu mietende Arbeitsstätten. Und nicht zuletzt ist es auch möglich, ein einem Kirchengebäude bestimmte Sportangebote anzubieten.
Entscheidend ist, dass es nicht die eine Lösung für jede Kirche geben kann. Es müssen individuelle Lösungen gefunden werden, die in die Region passen und die baurechtlich umsetzbar sind oder, wie bei Kolumbarien, dem Flächennutzungsplan einer Kommune entsprechen. Und selbst, wenn sich eine Lösung geradezu aufdrängt, heißt es nicht, dass sie die beste Wahl sein muss. Dann gilt es, vernunftgeleitet Kompromisse zu finden.
Das klingt sehr abstrakt. Wie könnte denn solch ein Kompromiss aussehen?
Franz: Denken wir uns als Beispiel zwei Kirchen in Nachbarorten und damit quasi in Rufweite. Die eine Kirche ist beliebt als Gottesdienststätte, die andere etwas weniger. In der räumlich weniger beliebten Kirche lässt sich baulich wenig verändern und auch sonst bringt sie keine Voraussetzungen für eine erweiterte Nutzung oder eine Umnutzung mit - letztlich droht ihr damit möglicherweise der Verfall. Ließe sich hingegen in der bevorzugten Kirche ein neues Projekt umsetzen, das allerdings mit einem Verlust an Möglichkeiten für Gottesdienste einhergeht, wäre es dann nicht vernünftig, diese Gottesdienste künftig in der weniger beliebten Kirche stattfinden zu lassen und damit zwei Gebäude wieder in die Zukunft zu bringen?
Für derartige Lösungen wären allerdings eine Menge Diskussionen und Abstimmungen nötig.
Franz: Ein jeder Wandlungsprozess kann grundsätzlich nur im Dialog gelingen. Deswegen ist es unglaublich wichtig, dass sich benachbarte Ortsgemeinden und Regionen gut miteinander vernetzen und im Gespräch bleiben. Zugleich müssen Kirchengemeinden mit den Kommunen in Kontakt kommen und unbedingt frühzeitig die säkulare Bürgerschaft und die regionale Wirtschaft in den Prozess einbinden.
Allerdings muss man dazu betonen, dass die Möglichkeiten, ein so komplexes Projekt zu bewältigen, für Beteiligte allein im kirchlichen Ehrenamt nur begrenzt bestehen. Ebenso sind im Hauptamt zum Beispiel Pfarrerinnen und Pfarrer mit ihrer Arbeitsbelastung oft bis zum Anschlag ausgelastet, sodass konkrete Schritte, also die Prozessgestaltung zur erweiterten Nutzung, im Alltag zu kurz kommen könnten. Daher ist es mitentscheidend, dass die Kirchengemeinden von ihren jeweiligen Landeskirchen die nötige Expertise und eine Moderation an die Seite gestellt bekommen, auch um den Wandel als Chance verstehen und angehen zu können.
Wäre nicht trotzdem eine Umnutzung der Kirchen ein einfacherer Weg?
Franz: Das wäre mir zu kurz gedacht. Denn da sind wir dann wieder beim Verlust für die kulturelle Landschaft und unser kulturelles Erbe. Sicher kann es auf den ersten Blick einfacher erscheinen, sich von einer Kirche zu trennen, in die dann beispielsweise ein Versicherungsmakler mit seinem Büro einzieht. Aber dann ist eben die Kirche auch kein Ort mehr, an dem Menschen einander begegnen und zur Kontemplation zusammenfinden können. Wenn jedoch ein Teil des Gotteshauses - die Sakristei, der Kirchturm oder der Altarraum - Kirche verbleibt, dann haben die Menschen weiterhin Zugang zu einem sakralen Ort der Begegnung. Daher halte ich kluge Mehrfach- oder Parallelnutzungen von Kirchen für den besseren Weg.