Portrait von Eckart von Hirschhausen unter freiem Himmel
© Christian Charisius/dpa
Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen rüttelt wach und kämpft für den Klimaschutz.
Hirschhausen zur Klimakrise
"Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns!"
Wie können wir gegen die Klimakrise ankämpfen? Hilft uns dabei Künstliche Intelligenz? Und wie wird die Welt in zehn Jahren aussehen? Das beantwortet Eckart von Hirschhausen, Arzt und Wissenschaftsjournalist, im Interview mit Markus Bechtold, Portalleiter von evangelisch.de.

evangelisch.de: Herr von Hirschhausen, seitdem ich Sie von der Klimakrise sprechen höre, schlafe ich schlechter. Das heißt, ich bin alarmiert. Warum ist es so wichtig, dass wir nicht unnötig weiter wertvolle Zeit verlieren, sondern jetzt ins Machen kommen und gegen die Klimakrise ankämpfen?

Eckart von Hirschhausen: Keine Panik, aber Priorität! Und seien Sie froh, dass sie erst von mir alarmiert wurden, sonst hätten Sie schon seit 1972 schlecht schlafen können. Seit 50 Jahren haben wir mit den Grenzen des Wachstums, mit dem Wissen um die Treiber von Erderwärmung, Artensterben und Pandemien genug Beweise, um zu handeln. Was aber bislang oft fehlte, war der persönliche Bezug zur eigenen Gesundheit. Wir müssen nicht "das Klima" retten – sondern uns! Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. 
 
Viele haben Zweifel, dass sie mit ihrem eigenen Verhalten etwas zur Lösung beitragen können. Was soll jeder Einzelne von uns Ihrer Ansicht nach ab sofort machen oder sein lassen?

von Hirschhausen: Das Wichtigste, das ein Einzelner heute tun kann ist: kein Einzelner zu bleiben. Es ist schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, solange sie andere hauptberuflich zerstören. Es braucht mehr Profis, mehr Promis, mehr Menschen aus der Zivilgesellschaft, die sich zusammenschließen und zu Anwälten der Zukunft. Denn die Lobby der fossilen Vergangenheit ist leider sehr viel besser aufgestellt und finanziert.

Was zu lassen ist: Nebelkerzen-Diskussionen um "Technologieoffenheit", mehr Atom und Autobahnen. Was zu tun ist? Leckere Pflanzen essen, Zug und Rad fahren, die Idee eines guten Lebens feiern, das nicht an Ressourcen verballern gemessen wird. Aber vor allem: sich schlau machen und den Mund aufmachen. Und gerne auch in dieser Reihenfolge (lacht).

Und was kann die evangelische Kirche ganz konkret dazu beitragen?

von Hirschhausen: Jede Menge! Im letzten Chrismon-Heft habe ich dazu ausgeführt. Die beiden großen christlichen Kirchen haben drei "Superkräfte": ein Menschenbild, das nicht auf Überkonsum beruht, ein weltumspannendes Netzwerk, und ein Denken, dass Generationen verbindet und mit der Nächstenliebe auch die "Übernächsten" mit einschließt.

Auf dem Kirchentag hatte ich mit Brot für die Welt, Misereor und meiner Stiftung Gesunde Erde-Gesunde Menschen zwei sehr spannende und bewegende Veranstaltungen, die auch online übertragen wurden. Die konkreten Möglichkeiten sind: "planetary health diet" – also gesundes pflanzenbasiertes Essen in jeder Einrichtung von Diakonie und Caritas, nachhaltiges Landverpachten nach dem Model von "fairverpachten", ethische Geldanlage, Solarpanels auf jedes Kirchendach, aber vor allem, den politisch Verantwortlichen Beine machen, denn die großen Hebel sind nicht die Jute-Beutel sondern jute Politik, wie der Berliner sagt. 

Welche Auswirkungen hat die Klimakrise auf unsere Gesundheit? Und wie können wir uns darauf vorbereiten? Können wir das überhaupt?

von Hirschhausen: Gesundheit beginnt nicht mit einer Pille oder Operation. Gesundheit beginnt mit der Luft, die wir atmen, dem Wassern zum Trinken, den Pflanzen, die wir essen können, erträglichen Temperaturen und einem friedlichen Miteinander. Alle diese fünf Lebensgrundlagen sind akut in Gefahr. Konkret sind auch die Einrichtungen im Gesundheitswesen miserabel auf Extremwetterereignisse vorbereitet.

Hitzewellen sind eine tödliche Gefahr für Schwangere, Kleinkinder und ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Kaum ein Altenheim verfügt über Kühlung, Verschattung oder Dachbegrünung. Krankenhäuser und Rettungsdienste haben keine Reserven, wenn wie im Ahrtal plötzlich alles weggespült wird. Oder wenn durch Waldbrände in Brandenburg oder aktuell in Kanada ganze Städte in toxischem Rauch versinken. Während wir sprechen, steht die Freiheitsstatue im gelben Qualm. Und immer noch wird Klimaschutz als "Freiheitsberaubung" abgetan. Dabei ist laut Bundesverfassungsgericht die Freiheit der nächsten Generation und ihre körperliche und seelische Unversehrtheit zwingend Leitschnur für die Politik von heute. Was muss denn noch passieren? 

"Bei 42 Grad Körpertemperatur ist Schluss"

Glauben Sie, dass die generative Künstliche Intelligenz, die vielfach auch als mögliche Bedrohung für unsere Gesellschaft diskutiert wird, zur Lösung der Klimakrise beitragen kann?

von Hirschhausen: Nein. Und diese Antwort hat ausnahmsweise nicht ChatGPT formuliert. Ich muss immer lachen, wenn mein Smartphone sich abschaltet, weil es ihm zu heiß wird, wir aber immer noch glauben, unser Hirn könnte sich an Hitze anpassen. Bullshit. Bei 42 Grad Körpertemperatur ist Schluss. Ende. Irreversibel. Das ist ein Naturgesetz, und Physik gilt auch weiter, selbst wenn man es in der Schule abgewählt hat.

Digitalisierung kommt immer so "virtuell" daher. Dabei fressen all die Server und ihre Kühlungen ja enorm viel Ressourcen und Strom. Und solange der fossil und dreckig ist, sollten wir darüber nachdenken, was Bitcoins noch wert sind, wenn es keine Bestäuber mehr gibt, kein Wasser und keine fruchtbaren Böden. Da können Sie lange auf ihren Servern nach Antworten suchen. Was zu Beißen ist durch Bites nicht zu ersetzen. 
 
Eine letzte Frage: Was glauben Sie, wie die Welt in 10 Jahren sein wird?

von Hirschhausen: Wir könnten es schöner haben als jetzt. Und viel gesünder. Und in 10 Jahren wird sich niemand, der bis hierhin gelesen hat, vorwerfen: Ich hab zu viel getan. Jetzt ist die Zeit. 

Vielen Dank!

Sehen Sie hier auch das Rote-Sofa- Gespräch mit Eckart von Hirschhausen auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2023 in Nürnberg.

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