Auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg haben Politiker und Experten vor übertriebener Zukunftsangst gewarnt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief die Menschen dazu auf, angesichts aller Krisen in der Welt ihre Herzen nicht zu verschließen. Er rief zu mehr Miteinander und Solidarität auf. Bei einer Bibelarbeit auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag ermutigte er dazu, Krisen mit dem Willen zur Veränderung zu begegnen.
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer zeigte Verständnis für Bürgerinnen und Bürger, die angesichts der Klimakrise frustriert sind. Ermutigen könne der Blick darauf, welche Wirkungen soziale Bewegungen in der Vergangenheit bereits entfaltet hätten, sagte die 27-Jährige am Donnerstag unter großem Applaus in der Kirche St. Sebald mit Blick auf Errungenschaften wie das Frauenwahlrecht und Gewerkschaften. An diesem Freitagnachmittag ist eine Menschenkette für mehr Klimaschutz in der Nürnberger Innenstadt geplant. Dazu wird auch Neubauer erwartet.
Vor einer Angst-Diskussion über Künstliche Intelligenz (KI) warnte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx. Besonders durch das Transformationspotenzial von KI betroffene Branchen müssten sich allerdings schon heute überlegen, was der Kern ihres Berufes sei, sagte Buyx in Nürnberg. Betroffen seien neben der Medien-, Kreativ- und Wissenschaftsbranche vor allem Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter beispielsweise in der Banken- und Versicherungsbranche. Aber Künstliche Intelligenz werde vielen Menschen in vielen Bereichen auch Arbeit abnehmen.
Die Soziologin Jutta Allmendinger warb in Nürnberg dafür, die Erwerbsarbeit für alle Beschäftigten deutlich zu reduzieren. Bei einem Podium "Arbeiten im Neuen Normal" sagte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) am Donnerstag, auch die heutige Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern passe "nicht mehr zum Leben". Sie plädierte für eine lebenslange Arbeitszeit von 32 Wochenstunden, die aber nicht zwingend in einer Vier-Tage-Woche zu leisten seien. Individuelle Lösungen seien das Maß aller Dinge.
Zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sagte der Politologe Herfried Münkler, eine Abtretung ukrainischer Gebiete an Russland könnte dramatische Konsequenzen für ganz Europa haben. "Der Wunsch nach schnellem Frieden könnte ein Türöffner sein für viele weitere Kriege", sagte Münkler am auf dem Hauptpodium des Kirchentags. In der ost- und südosteuropäischen Region gebe es neben Russland viele revisionistische Mächte. Der Politologe nannte die Türkei, Serbien und Ungarn, die Neigungen zeigten, ihre bestehenden Grenzen nicht länger zu akzeptieren.
Wegen eines Gewitters mit starkem Regen mussten auf dem Kirchentag am Donnerstagnachmittag mehrere Open-Air-Veranstaltungen unterbrochen werden. Der Großteil des Programms findet allerdings in den Hallen der Nürnberger Messe statt.
Bis Sonntag wollen Zehntausende Besucher des Christentreffens ihren Glauben feiern und aktuelle Themen der Zeit besprechen. Auf dem Programm stehen mehr als 2.000 Veranstaltungen in Nürnberg und Fürth. Zur Eröffnung am Mittwoch waren laut Veranstaltern rund 130.000 Menschen zu einem "Abend der Begegnung" zusammengekommen.