Foto: epd/Agenzia Romano Siciliani
Zwischen Tradition und Erneuerung
Für die katholische Kirche brachte es die wohl wichtigste Weichenstellung der neueren Geschichte: Vor 50 Jahren wurde das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet. Der evangelische Theologe Markschies träumt von einem dritten Konzil.
11.10.2012
epd
Bettina Gabbe

Bischöfe, theologische Berater und Beobachter aus aller Welt waren am 11. Oktober 1962 nach Rom gekommen. Papst Johannes XXIII. hatte das Zweite Vatikanische Konzil einberufen. Über drei Jahre hinweg berieten rund 2.800 Konzilsväter in vier Sitzungsperioden über Grundlagen für Reformen in der katholischen Kirche. Ergebnisse der Versammlung sind 16 Konzilsdokumente, mit denen sich die katholische Kirche der modernen Welt öffnete, ihre Position zum weltanschaulichen Pluralismus reflektierte und ihr Verhältnis zu anderen christlichen Kirchen sowie nichtchristlichen Religionen neu bestimmte.

###mehr-info### Die Konzilsväter sprachen sich für eine stärkere Beteiligung der Laien an der Liturgie wie am kirchlichen Leben insgesamt aus. Sie öffneten die Kirche für den Dialog mit anderen Religionen, christlichen Konfessionen und der modernen Kultur. Damit erkannten sie erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche die Religionsfreiheit an. Überdies räumten sie den Ortskirchen im Verhältnis zu Rom ein stärkeres Gewicht ein und unterstrichen die Notwendigkeit, Entscheidungen an der Kirchenspitze unter Beteiligung der Episkopate zu fällen.

Zugewandter Gottesdienst

Die auf Anregung des Konzils beschlossene Liturgie-Reform ging später über die Forderungen des Konzils hinaus, indem beim Gottesdienst das Latein durch die Landessprachen ersetzt wurde. Geistliche feiern Messen seither nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde. Mit den beiden Konzilsdokumenten "Unitatis redintegratio" (1964) und "Nostra aetate" (1965) machten die Bischöfe den Weg frei für die Anerkennung anderer Kirchen und Religionen. Vor allem die ökumenische Bewegung erhielt mit dem Zweiten Vaticanum einen zusätzlichen Schub.

Doch in die während des Konzils verbreitete Aufbruchsstimmung mischte sich der Folge vielfach Enttäuschung über eine mangelnde Umsetzung der Reformen. Zahlreiche Geistliche ließen sich in den Laienstand versetzen, die Zahl der Priesteramtskandidaten etwa in Deutschland sank erheblich. Vor allem nach der Veröffentlichung der Enzyklika "Humanae vitae" von Papst Paul VI. mit dem Verbot von Verhütungsmitteln im Jahr 1968 wandten viele Gläubige sich von der Kirche ab.

Der ehemalige Präsident des Päpstlichen Einheitsrats, Kardinal Walter Kasper, warnt davor, Veränderungen in der katholischen Kirche der vergangenen fünf Jahrzehnte allein auf das Konzil zurückzuführen. "Kritiker verkennen die langfristigen religionssoziologischen Entwicklungslinien, die schon vor dem Konzil wirksam waren und die in den gesellschaftlichen Umbrüchen während der Jugend- und Studentenproteste von 1968 eine wesentliche Beschleunigung erfuhren", diagnostizierte er in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Emanzipatorische Tendenzen "machten auch vor der Kirche nicht Halt", meint der Kardinal. 

Kritiker werfen Papst Benedikt XVI. vor, die Kirche in die vorkonziliare Periode zurückführen zu wollen. Er selbst warnt hingegen vor einer "Hermeneutik des Bruchs". Für den Theologen Joseph Ratzinger, der selbst als Berater am Konzil teilnahm, können dessen Lehren nur im Zeichen der Kontinuität gedeutet werden.

Abspaltung als Folge

Nach dem Konzil spalteten sich traditionalistische Gruppierungen etwa um Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) aus Ablehnung gegen die Anerkennung der Religionsfreiheit und den Dialog mit den Juden von der katholischen Kirche ab. Die Reintegrationsgespräche zwischen Vatikan und Pius-Bruderschaft, von der eine Anerkennung des Kerns der Konzilsbeschlüsse erwartet wird, stecken derzeit wohl in einer Sackgasse. "Es gibt keine Ermäßigungen was den katholischen Glauben angeht, gerade wie er auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil gültig formuliert worden ist", unterstreicht der römische Glaubenspräfekt, Erzbischof Georg Ludwig Müller. 

Ohne das Zweite Vatikanische Konzil hätte es die Ökumene viel schwerer, als sie es gegenwärtig ohnehin schon habe, urteilt der evangelische Kirchenhistoriker Christoph Markschies. Der Theologieprofessor erlaubt sich gar, von einem dritten Vatikanischen Konzil zu träumen: Dabei könnte der Papst auf seinen Lehr- und Jurisdiktionsprimat verzichten, sowie die Ämter und sakramentalen Vollzüge der evangelischen und orthodoxen Kirchen als vollwertig und gleichberechtigt anerkennen. Für diese utopische Vision sieht Markschies zwar in unmittelbarer Gegenwart keine Realisierungschancen. "Aber gelegentlich fallen ja Mauern in Situationen, in denen sich fast alle mit deren Existenz abgefunden haben", hofft er.