Erstmals nach vier Jahren treffen sich Zehntausende Christen seit Mittwoch wieder bei einem evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Bis Sonntag wollen sie bei Gottesdiensten, Konzerten und anderen kulturellen Veranstaltungen ihren Glauben feiern und bei Podiumsdiskussionen aktuelle Themen besprechen. Offiziell eröffnet werden sollte das Treffen mit Open-Air-Gottesdiensten in der Nürnberger Innenstadt und Grußworten unter anderem von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwochabend.
Kirchentagspräsident Thomas de Maizière erhofft sich vom ersten Kirchentag nach der Corona-Pandemie und dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Vermittlung von Zuversicht. "Wir sind besorgt, aber nicht verzagt", sagte der frühere CDU-Bundesminister vor der Eröffnung. Die Losung des Treffens lautet in diesem Jahr "Jetzt ist die Zeit". Unter diesem Motto soll über aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen gesprochen werden.
De Maizière verwies unter anderem auf Veranstaltungen zur Friedensethik mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, zum Klimaschutz mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Vertreterinnen der "Letzten Generation" sowie ein Podium zur Krisenanfälligkeit der Demokratie mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth. Erwartet werden auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Auf dem Programm des Kirchentags stehen mehr als 2.000 Veranstaltungen. Bis Dienstagabend wurden nach Angaben der Veranstalter 60.000 Tickets verkauft. Ob die erwartete Teilnehmerzahl von 100.000 erreicht wird, sei schwer abzuschätzen, hieß es. Der Kirchentag 2019 in Dortmund zählte rund 120.000 Teilnehmende. 2021 fand ein Ökumenischer Kirchentag in Frankfurt am Main wegen der Corona-Krise weitgehend digital statt.
Glauben gemeinsam bekennen
Ausgebucht war am Mittwoch ein Sonderzug zum Kirchentag, mit dem rund 400 Reisende in Leipzig den Weg nach Nürnberg antraten. Die Bischöfe der Landeskirchen von Sachsen, Anhalt und Mitteldeutschland spendeten einen Reisesegen für den von der mitteldeutschen Kirchenzeitung "Glaube + Heimat" angemieteten Zug.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wünscht sich vom 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg ein Hoffnungszeichen. "Ich hoffe, dass die frohe Botschaft auch als froh interpretiert wird", sagte Söder. Nichts sei so schön, wie den Glauben gemeinsam zu bekennen. Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm nannte ein "Signal der Hoffnung für die ganze Gesellschaft" als Ziel des Kirchentages. Das sei gerade in dieser Zeit dringend nötig.
Gedenken an die Opfer des NSU
Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Kirche haben zu Beginn des Kirchentags der Opfer der NSU-Morde und anderer unmenschlicher Verbrechen gedacht. Fromm sein genüge "nicht in der Kirche und nicht in der Demokratie", sagte Kirchentagspräsident Thomas de Maizière am Mittwoch am NSU-Mahnmal am Kartäusertor. Christen seien dazu berufen, wach zu sein, hinzuschauen, sich zu informieren und sich eine Meinung zu bilden.
In seiner ganzen ungeheuren Ambivalenz sei der Mensch zum Besten und zum Grausamsten fähig, sagte Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern. Als positive Beispiele wurden fünf Personen mit dem Attribut "a real Mentsh" vorgestellt. Der Begriff stammt aus dem Jiddischen und beschreibt Menschen, die Vorbilder sind und sich durch edles Handeln auszeichnen. "Menschen, die gut sind, aber nicht zu gut, um wahr zu sein", sagte Kirchentags-Generelsekretärin Kristin Jahn.
Auch der im September 2000 von Terroristen des NSU in Nürnberg ermordete Blumenhändler Enver Simsek und seine Tochter Semiya sind für Elisabeth Hann von Weyhern "real Mentshen". Weil sie sich nach rassistischen Verdächtigungen im Zuge der Aufklärung des Mordes an ihrem Vater in Deutschland nicht mehr willkommen fühlte, ist Semiya Simsek mit ihrer Familie in die Türkei gezogen. "Trotzdem kommt sie hierher, besucht Schulklassen und engagiert sich für Anerkennung und Aufklärung. Frau Simsek hat mich sehr beeindruckt mit ihrer klaren Haltung", sagte Hann von Weyhern. Für die zehn Mordopfer der rechtextremen Terrorgruppe NSU steht seit 2013 ein Mahnmal am Kartäusertor.
Kirchentagspräsident de Maizière würdigte das ehrenamtliche Engagement bei dem Christentreffen. In Nürnberg seien etwas mehr als 4.000 Helferinnen und Helfer im Einsatz, unter ihnen viele junge Menschen, sagte der ehemalige CDU-Bundesminister: "Was bei vielen Veranstaltungen Profis machen, machen bei uns Ehrenamtliche."
Der Etat für das Protestantentreffen beträgt 20,5 Millionen Euro. Der Freistaat Bayern steuert 5,5 Millionen Euro bei, die Stadt Nürnberg 3 Millionen Euro, die bayerische Landeskirche 5,6 Millionen Euro. Der Rest entfällt auf Einnahmen aus Merchandising, von Sponsoren und aus dem Ticketverkauf.