Am 30. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen haben politische Spitzenvertreter ein entschlossenes Vorgehen gegen Rassismus und rechte Gewalt gefordert, die bis heute zur Realität in Deutschland gehörten. "Es gibt eine Kontinuität von rechtsextremer Gewalt in unserem Land", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an den Anschlag vom 29. Mai 1993, bei dem fünf Menschen getötet wurden.
"Dieser rechte Terror ist verantwortlich für die Toten hier in Solingen. Diesen rechten Terror gab es vor Solingen, und es gibt ihn nach Solingen." Ähnlich äußerten sich NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD).
Vier junge Männern aus der Neonazi-Szene hatten am Pfingstsamstag 1993 das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in Solingen in Brand gesetzt. Zwei Frauen und drei Mädchen im Alter von 4 bis 27 Jahren starben, weitere Familienmitglieder wurden teils lebensgefährlich verletzt. Die Tat war einer der folgenschwersten ausländerfeindlichen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Steinmeier mahnte vor 600 geladenen Gästen im Solinger Theater und Konzerthaus einen wehrhaften und wachsamen Staat an. Dieser müsse "besonders diejenigen schützen, die ein höheres Risiko haben, zum Opfer zu werden". Auch jede und jeder Einzelne habe eine Verantwortung und sollte Zivilcourage und Mut zeigen.
Aus Worten werden Taten
Steinmeier erinnerte an den "braunen Nährboden" des Solinger Anschlags, der zu einer bis heute reichenden Reihe rechtsextremer Gewalttaten zähle. Viel zu lange sei behauptet worden, es handle sich um Einzeltäter, dabei seien die Strukturen und Ideologien dahinter übersehen und ignoriert worden. Auch aus Worten könnten Gewalttaten entstehen, sagte Steinmeier und warnte Politiker davor, verbal um den rechten Rand zu buhlen.
"Auch heute werden Menschen wegen ihrer Wurzeln, Kultur oder Religion ausgegrenzt, diskriminiert und angefeindet", konstatierte auch NRW-Ministerpräsident Wüst. Rassismus zeige sich von subtiler Alltagsdiskriminierung über Hetze im Netz bis hin zu Gewalttaten. Es gelte, sich rassistischer und rechtsextremer Propaganda entgegenzustellen und jeden Tag gemeinsam für ein respektvolles Miteinander einzustehen.
Versäumnisse eingeräumt
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte es mit Blick auf den Anschlag von 1993 ein Versäumnis, nicht früh und entschieden genug gegen rechtsradikale Tendenzen vorgegangen zu sein. Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus müssten eine konsequente Strafverfolgung, politische Bildung und eine starke Zivilgesellschaft gehören.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete den Mordanschlag von Solingen auf Twitter als Mahnung, "alle zu schützen, die hier leben, die Verbrechen zu ahnden und Opfern zu helfen". Mit Respekt für die vielfältige Gesellschaft könne viel erreicht werden.
Wunsch nach Gedenkstätte
Solingens Oberbürgermeister Kurzbach mahnte, jedes Zeichen von Rechtsextremismus und Rassismus ernst zu nehmen und noch entschlossener gegen Hass und Gewalt einzutreten. "Wir dürfen niemals mehr wegsehen", sagte er und zeigte sich besorgt über die aktuelle Flüchtlingsdebatte.
Der stellvertretende türkische Außenminister Yasin Ekrem Serim beklagte, dass in Deutschland bislang mehr als 50 Menschen bei rassistischen Angriffen gestorben seien. Er warnte vor islamophoben Taten und "niederträchtigen Angriffen" gegen Muslime.
Ein Mitglied der Familie Genç äußerte den "Herzenswunsch", dass am Ort des 1993 abgebrannten Hauses "eine zentrale Gedenkstätte in Form eines Museums" entsteht. So solle die Erinnerung an den Anschlag und das Engagement ihrer Großmutter Mevlüde Genç für kommende Generationen wachgehalten werden, sagte Özlem Genç.
Parallel zur Gedenkfeier fanden in Solingen sieben Kundgebungen statt, laut Polizei verlief dabei bis zum Nachmittag alles friedlich.