Immer wieder berichten Asylbewerber, dass sie in südosteuropäischen Ländern bei ihrer Ankunft geschlagen wurden. Damit sie nicht nach Bulgarien oder Rumänien zurückmüssen, bitten sie um Kirchenasyl. 45 Menschen leben zurzeit in Bayern in evangelischen Kirchengemeinden. David Geitner, Kirchenasylkoordinator der bayerischen Landeskirche, wisse von Fällen, in denen sogar Kinder in Gefängnisse gesteckt worden seien. Der Vorsitzende des Flüchtlingshilfevereins "Matteo - Kirche und Asyl", Stephan Reichel, sagte dem Evangelischen Pressedienst, er habe 150 Berichte von Geflüchteten aus dem Irak, Syrien und Afghanistan gesammelt, die über Bulgarien kamen: "Jeder ist schrecklich."
So zitiert Reichel etwa einen 21-jährigen Syrier, der inzwischen in Neumarkt im Kirchenasyl ist. Bei seiner Verhaftung in Sofia sei er mit Knüppeln geschlagen und mit Stiefeln getreten worden. Auf der Polizeistation habe er sich nackt ausziehen müssen. In einem großen Gefängnis seien in einer Zelle 35 Menschen untergebracht gewesen, die sich zehn Betten teilen mussten. Der junge Mann bekam dort Wanzenstiche und die Krätze.
Eine syrische Familie, die vor dem IS und der Assad-Armee aus Syrien floh, berichtet, dass dem 14-jährigen Sohn gegen den Kopf getreten wurde. Ein junger Afghane, der inzwischen in Schwaben lebt, habe gesehen, wie bulgarische Polizisten Hunde auf Geflüchtete hetzten. Sollten sie tatsächlich im bulgarischen Asylverfahren anerkannt werden, fürchten die Geflohenen, dort dann auf der Straße leben zu müssen.
In einem Offenen Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Reichel Mitte Mai geschrieben, "wir müssen davon ausgehen, dass die Misshandlung, oft Folter, von Geflüchteten systematisch betrieben und von den bulgarischen Behörden und der Regierung geduldet wird". Die Beschreibungen der Qualen der Geflüchteten in Bulgarien machen in den Asylverfahren auf die Sachbearbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wenig Eindruck, stellt David Geitner fest.
Sicherer Drittstaat?
Mit immer den gleichen Textbausteinen würden die Anträge abgelehnt. Bulgarien sei ein "sicherer Drittstaat", heißt es etwa. "Auch wenn in bestimmten Bereichen noch Schwächen vorhanden sind und die Lebensbedingungen in Bulgarien für Asylbewerbende schwieriger sind als in Deutschland, führen diese Umstände nicht zur Mangelhaftigkeit des Gesamtsystems", wird erklärt. Das Bundesamt teilt auf epd-Anfrage mit, dem Bundesinnenministerium und dem BAMF seien "keine systemischen Mängel im bulgarischen Asylsystem bekannt". Für einen Abschiebestopp sehe man keinen Grund, denn "die EU-Mitgliedstaaten dürfen dabei darauf vertrauen, dass die Behandlung Schutzsuchender in jedem Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Grundrechtscharta entspricht". Der Europäischen Kommission obliege es, "die Einhaltung der Verträge zu überwachen".
Argumentation dreht sich im Kreis
Bei solcher Argumentation "drehen wir uns im Kreis", sagt Geitner. Auch die Befürchtungen von Geflohenen, sie könnten in Bulgarien obdachlos werden, werde in den Ablehnungen nüchtern abgetan: "Mit gebotener eigener Anstrengung und dem Willen zur Integration kann Herr A. eine Obdachlosigkeit in Bulgarien auch im Fall seiner Anerkennung vermeiden." Das Verwaltungsgericht Ansbach habe vereinzelt Eilanträgen stattgegeben und Abschiebungen nach Bulgarien gestoppt, sagt Geitner. "Da wird dann deutlich, dass die Zustände nichts sind, was sich die Kirchen ausdenken."
Kirchenasyl gewähren auch katholische Gemeinden und Klöster. Die dafür zuständige Juristin im Katholischen Büro Bayern, Bettina Nickel, hat es nicht nur mit Menschen zu tun, die über Bulgarien oder Litauen in die EU gekommen sind, sondern auch mit Fällen, in denen Männer in Rumänien brutal behandelt wurden oder Menschen aus der queeren Szene nicht nach Polen zurückgeführt werden wollten, weil sie dort besondere Schikanen erwarten. "Jeder Fall ist ein Einzelfall", sagt Nickel, aber den "Selbsteintritt" der deutschen Behörden erlebe sie sehr selten. Das An-sich-Ziehen eines Asylverfahrens durch Deutschland, für das ein anderer EU-Staat zuständig wäre, sei ihr in diesem Jahr in einem einzigen Fall begegnet, dem einer "älteren kranken Frau", die über Kroatien gekommen war, berichtet Nickel.
Das BAMF selbst teilt mit, im Zeitraum Januar 2022 bis April 2023 wurden bei Kirchenasylen fünf Selbsteintritte mit den Mitgliedstaaten Bulgarien und Litauen ausgeübt.