Ohne Musik kann er nicht. Das weiß Ludwig Güttler spätestens jetzt - wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag. Ein knappes halbes Jahr nach seinem Karriereende fragt er sich: "War es richtig aufzuhören?" Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst formuliert er seine Zweifel.
Im Dezember hatte sich Güttler mit mehreren Konzerten verabschiedet und für die Treue in 65 Jahren bei seinem Publikum bedankt. Die Stiftung Frauenkirche Dresden ehrte ihn mit einem festlichen Dankkonzert, bei dem Georg Friedrich Händels (1685-1759) "Messias" erklang. Sachsens evangelischer Landesbischof Tobias Bilz würdigte ihn als "Ausnahmekünstler".
Ein Vierteljahr wolle er Pause machen, sehen, was komme, so hatte Güttler es damals gesagt. Er meinte es ernst mit dem Aufhören, war überzeugt: "So schwer ist das gar nicht." Doch da hat er sich wohl getäuscht. Der abrupte Übergang sei zu heftig gewesen. "Das hat überhaupt nicht geklappt", sagt Güttler. "Ich bin in ein Loch gefallen."
Er formuliert es so: "Nicht ich habe die Musik gemacht, sondern die Musik hat mich gemacht." Grund für das konsequente Aufhören sei die Sorge gewesen, er könnte in der Leistung schlechter werden. Dabei habe er gespiegelt bekommen, dass dies nicht so gewesen sei. Öffentlich auftreten mit der Trompete will er nicht mehr. Aber er übe trotzdem regelmäßig, es bereite ihm einfach Freude. Es sei auch gut, nicht mehr von Konzert zu Konzert "gejagt" zu werden. Er strukturiere sein instrumentales Training nun nach seinem Rhythmus.
Weiterhin dirigieren
Am 13. Juni wird der Trompeter und Dirigent 80 Jahre alt. Und er schmiedet Pläne: Seit seiner Jugendzeit dirigiere er regelmäßig, sagt er, dies könne er sich auch jetzt weiter vorstellen. Vor allem aber wünscht er sich, dass die von ihm gegründeten Kammer-Ensembles erhalten bleiben.
Der 1943 im erzgebirgischen Sosa geborene Musiker blickt auf eine überaus erfolgreiche Karriere zurück. Dutzende Tonträger hat er als Trompeter oder Dirigent bespielt. Tourneen führten den Virtuosen um die ganze Welt. Aber auch die Konzerte in der sächsischen Heimat schätze er: Höhepunkte seien immer wieder die Aufführungen des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach (1685-1750) mit dem Dresdner Kreuzchor gewesen.
Visionär und geschätzter Kollege
Güttler gilt in Dresden und weltweit als "Botschafter der Frauenkirche". In mehr als 1.500 Konzerten hat der berühmte Trompeter um Spenden für deren Wiederaufbau geworben. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Barockkirche war in den 1990er Jahren nachgebaut und 2005 geweiht worden.
Er sei ein "großer Visionär", hat der ehemalige Frauenkirchenpfarrer und heutige Leipziger Superintendent, Sebastian Feydt, einmal über Güttler gesagt. Solche Personen brauche es, um "schier Unmögliches möglich zu machen". Geschätzt wird der Virtuose auch als Kollege: "Musikalische Erlebnisse mit Güttler gehören zu den absoluten Höhepunkten", sagt der "Artistic Director" der Frauenkirche, Geiger Daniel Hope.
Außergewöhnliche Karriere
Als Kind hat Güttler auch Flöte, Klavier, Orgel und vor allem Cello gelernt. Doch er entschied sich für die Trompete, sah dort größere Chancen, weil es sehr viel mehr gute Cellisten gegeben habe als sehr gute Trompeter. Sein Studium führte Güttler an die Musikhochschule in Leipzig.
1965 begann er seine Karriere beim Händel-Festspielorchester Halle, später war er Solotrompeter der Dresdner Philharmonie. Gleich drei Ensembles hat er gegründet: das Leipziger Bach-Collegium (1976), das Blechbläserensemble Ludwig Güttler (1978) und das Kammerorchester Virtuosi Saxoniae (1985).
Güttler lebt heute abwechselnd im österreichischen Kärnten und Dresden, wo er 2022 eine Wohnung ganz in der Nähe der Frauenkirche bezog. Der Vater von fünf Kindern und Großvater von zehn Enkelkindern ist zum vierten Mal verheiratet. Als Musiker hat er mehr erreicht, als er sich je erträumt hatte. Jetzt habe er Zeit, seine zahlreichen eingespielten Aufnahmen anzuhören, sagt er. Er sei überrascht, "wie gut die sind".