Eben sind wieder Kreuzfahrt-Passagiere angekommen. An der Hauptpforte der großen Nürnberger Sebalduskirche schütteln sie ihre Schirme aus und trotten einem Kirchenführer in die Kirche hinterher. An diesem regnerischen Tag ist die Stadtkirche ein überdimensionales summendes Bienenhaus. Diese Kirche gehört neben der Lorenzkirche, dem Schönen Brunnen oder der Kaiserburg zu den Highlights, die fast jeder Nürnberg-Tourist abhakt.
Hier ist Julia Rittner-Kopps Einsatzort. Die evangelische Pfarrerin hat vor kurzem die Stelle der Gästepfarrerin angetreten. "Hier sind in großem Maße Kunstschätze, die von der Glaubensgeschichte erzählen", schwärmt sie. Jeder, der hier an einer Führung teilnehme oder nur still in der Bank sitze, schreibe diese Geschichte fort. Die Pfarrerin ist froh, dass die Reformation in Nürnberg vor knapp 500 Jahren keinen Bildersturm in den ehemals katholischen Gotteshäusern nach sich zog. Der Nürnberger Stadtheilige Sebaldus, der hier in St. Sebald seine Grabstätte hat, oder die Strahlenkranzmadonna böten "Zugang zum Glauben". Anhand dieser "Role-Models" könne sie Geschichten vom Christsein und von der Spiritualität erzählen.
Die Skulptur des starken Christopherus etwa nimmt die Gästepfarrerin, um zu erklären, dass es verschiedene Arten gibt, ein frommes Leben zu führen. Christopherus, ein Bär von einem Mann, konnte nicht fasten und beten, aber er übernahm es, die Menschen auf seinen Schultern über einen Fluss zu tragen. "Es geht nicht um Jahreszahlen und Fakten", sagt Rittner-Kopp. Sondern darum, was diese Symbole für die Kirche des 21. Jahrhunderts bedeuten.
St. Sebald erzählt aber auch von einer unschönen Seite der christlichen Religion. Antijudaistische Darstellungen aus den früheren Jahrhunderten finden sich auf einigen Gemälden und an der östlichen Fassade in Form einer Schmähplastik. Die Kirchengemeinde reagiert auf dieses Erbe mit einer Hinweistafel und im neuen Mini-Museum im Sebalder Hof "Stein und Tür". "Es ist Teil unserer Geschichte", sagt Rittner-Kopp, "das Bewusstsein hierfür zu schärfen, ist wichtig".
Ins Grübeln bringt die Gästepfarrerin immer wieder die Holzsäule am Eingang der Kirche. Sie trägt ein laminiertes Schild, auf dem um ein "freiwilliges" Eintrittsgeld gebeten wird. "Freiwillig oder nicht - wir sollten in Kirchen keinen Eintritt verlangen", ist die Meinung der Pfarrerin. Es koste aber auch immens viel Geld, die Bausubstanz der Kirche zu erhalten, schildert sie die Zwickmühle, in der Gemeinden bekannter Kirchen stecken. Schließlich betreten fast 500.000 Menschen im Jahr das Gebäude, und ihre Spuren, selbst wenn es nur die Atemluft ist, wirken sich auf Kunstwerke und Gestein aus.
St. Sebald lernt die Pfarrerin gerade wieder kennen. Schon von 1998 bis 2004 war sie Gästepfarrerin, anschließend bis 2011 Gemeindepfarrerin, bevor sie nach St. Johannis wechselte. Vor drei Jahren ging die gebürtige Bielefelderin mit ihrem Mann nach München. Christian Kopp ist dort Regionalbischof und ab Oktober bayerischer Landesbischof. Julia Rittner-Kopp wird weiter zwischen Nürnberg und München pendeln, wo sie auf einer zweiten halben Stelle als Rundfunk-Predigerin arbeitet.
In der über 80 Meter langen und über 20 Meter hohen Kirche hat die 57-Jährige viele Lieblingsplätze, sagt sie. Am liebsten aber sitze sie in der Mitte, wo sich spätromanischer und gotischer Baustil treffen. Hier könne sie staunen über diesen Raum, der mit etwas Größerem zu tun habe: "Hier ist Luft nach oben", sagt sie. "Die Weite des Raums ist einfach für mich da. In ihr sind Gebete, Lieder, Gesänge, Trauer, Tränen, Freude von vielen Menschen über Jahrhunderte abgespeichert."