Wenn von einem Trauma die Rede ist, denkt man meist an ein einzelnes Ereignis: einen Unfall, eine Vergewaltigung, eine Naturkatastrophe. Tatsächlich können Gewalterfahrungen Traumafolgestörungen auslösen. Sie müssen es jedoch nicht. "Man kann nicht vom Ereignis auf die innere Verarbeitung schließen", sagte die Autorin Anke Precht aus Offenburg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
In ihrem jüngst bei der Thieme-Gruppe Stuttgart (TRIAS-Verlag) erschienenen Buch "Der Trauma-Notfallkoffer" erklärt die Psychologin allgemeinverständlich, was ein Trauma ist, wie es entsteht und was es im Nervensystem auslöst. Das Buch widmet sich ausführlich der Selbsthilfe. Es gibt Tipps für einen "Notfallkoffer", der, so Precht, allerdings "keine Alternative zur Therapie" darstelle. Der Koffer sei vielmehr als begleitende Soforthilfe für Betroffene gedacht, wenn der Therapeut in einem schwierigen Moment gerade nicht verfügbar sei. Die "Schätze" in dem Koffer sollen helfen, einen Weg aus der Ausnahmesituation zu finden. Sei es durch eine hilfreiche Bewegung, eine bestimmte Musik, Chilibonbons oder die Erinnerung an einen Wohlfühlort.
Ob ein schlimmes Ereignis ein Trauma auslöst, hänge zum einen von der Resilienz-Fähigkeit des Betroffenen ab, erklärt die Psychologin. Entscheidend sei außerdem die Häufigkeit, mit der Menschen belastenden Situationen ausgesetzt sind. Gerade bei Mitarbeitern im Rettungsdienst läuft laut Precht das Fass eines Tages über. Sie berichten in der Therapie von Belastung durch wiederkehrende Erinnerungen an das schlimme Ereignis, den "Flashbacks". "Rings um ‚Flashbacks‘ kommt es zu Veränderungen im Nervensystem wie innere Starre, Anspannung, veränderte Verhaltensweisen", beschreibt Precht einige Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung.
Sie wolle Kolleginnen und Kollegen mit ihrem Buch sensibilisieren. "Nicht immer steckt ein Trauma hinter einer Depression oder Panikattacken. Ich muss als Behandler jedoch daran denken", sagt Precht. Vor allem komplexe Traumafolgestörungen zeigten sich in atypischer Weise, so die Expertin.
"Nichtbeachtung in der Kindheit kann zu einer Traumafolgestörung führen", erklärt Precht und spricht vom "emotionalem Verhungern". Die Betroffenen wüssten dann oft nicht, dass sie an einem Trauma leiden. Das Trauma wirke wie ein "Flaschenhals, durch den fast nichts mehr durchgeht", beschreibt sie die Einschränkungen durch die seelische Verletzung.
Der posttraumatischen Belastungsstörung stellt Precht das "posttraumatische Wachstum" gegenüber. Durch mittlerweile gut erforschte Traumatherapien wie das "Eye Movement Destination and Reprocessing" (EMDR) oder "Somatic Experiencing" könne es gelingen, das Nervensystem umzustimmen. "Das Trauma wird Teil der Normalität und beschädigt nicht für das ganze Leben", sagt Precht.