In vielem von dem, was Kyrill sage, müsse er gar nicht so weit gehen, wie er es tue, sagte die katholische Theologin der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". "Etwa in dem Versprechen, dass allen russischen Kämpfern, die in der Ukraine fallen, sämtliche Sünden vergeben werden", nannte Elsner als Beispiel. Das sei aus theologischer Sicht hanebüchen und erinnere an die Kreuzzüge oder an den radikalen Islamismus.
Je länger der Krieg in der Ukraine dauere, umso mehr radikalisiere sich der russisch-orthodoxe Patriarch, sagte Elsner. Er begründe seine Kriegspropaganda theologisch beispielsweise mit der Apokalypse. "In seiner Doktrin ist das heilige Russland die letzte moralisch saubere Bastion, die den Antichrist noch aufhalten kann", erläuterte Elsner, die am Lehrstuhl für Ostkirchenkunde und Ökumenik der Universität Münster lehrt.
Verbreitete Unkenntnis in religiösen Dingen in der russischen Bevölkerung erleichtere Kyrill die Verbreitung seiner Botschaften, erklärte die Theologin: "Diese Unkenntnis macht empfänglich für mystische Erzählungen, Wunderglauben und Verschwörungstheorien." Sie sei eine Folge davon, dass die Menschen in der Sowjetunion kaum religiös gebildet worden seien.
Für Elsner ist Kyrills Haltung keine Überraschung. Seinen ideologischen Hauptgedanken zufolge finde ein entscheidender Kampf zwischen liberalen und traditionellen Werten statt, sagte die Theologin. 1999 habe er darüber einen programmatischen Artikel veröffentlicht. "Die westlichen Kirchen hätten schon damals nachlesen können, welchen Kurs der spätere Patriarch da fährt.", sagte sie.