Altbundeskanzler Helmut Schmidt bezeichnete sie einmal als "geistige Tankstelle", Medien verliehen ihr den Titel "Gedächtnis der Nation": Die Deutsche Nationalbibliothek wird am 3. Oktober 100 Jahre alt. Höhepunkt des Jubiläumsjahres ist ein Festakt in Leipzig am 2. Oktober.
Dass ihr rundes Jubiläum genau auf den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober fallen würde, konnten die Gründungsväter nicht wissen. Die Geschichte der Bibliothek mit ihren zwei Standorten in Leipzig und Frankfurt am Main ist dennoch auch ein Abbild der deutsch-deutschen Geschichte. Ihr Auftrag: alle in Deutschland publizierten Werke zu sammeln. Dazu kommen noch deutschsprachige Medien, die im Ausland veröffentlicht wurden sowie fremdsprachige Bücher über Deutschland.
Mit ihrer Gründung 1912 war die Deutsche Bücherei, so ihr damaliger Name, im internationalen Vergleich bereits spät dran. So geht die British Library in London auf die 1753 gegründete Bibliothek des British Museum zurück. Die Bibliothèque Nationale in Paris ist sogar im Jahr 1368 gegründet worden.
Auch in der Nazizeit wurden Bücher gesammelt
Doch frühere Bemühungen waren gescheitert, eine nationale Kultur- und Wissenschaftspolitik fehlte in dem föderalen deutschen Staatenbund. Es war vor allem Erich Ehlermann, Dresdner Verlagsbuchhändler und Zweiter Vorsteher des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, der ab 1910 für die Bibliothek eintrat.
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Am 3. Oktober 1912 wurde schließlich ein Vertrag zwischen dem Börsenverein, der Stadt Leipzig und dem Königreich Sachsen geschlossen. Verleger und Buchhändler sollten Neuerscheinungen freiwillig und kostenlos abliefern.
1933 wurde die Deutsche Bücherei dem Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt. Im gleichen Jahr entzogen die Nationalsozialisten verbotene und "unerwünschte" Literatur der allgemeinen Nutzung.
Doch: "Auch in der NS-Zeit wurde alle veröffentlichte Literatur aus Deutschland und in deutscher Sprache gesammelt", erklärt Elisabeth Niggemann, Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek. Erst nach dem Krieg konnten sie in den öffentlichen Verzeichnissen angezeigt werden.
"Bückware", wenn man die richtigen Leute kannte
Nach 1945 beginnt die Geschichte des zweiten Standortes: In Frankfurt am Main wurde die Deutsche Bibliothek eingerichtet, eine Art West-Pendant zur Deutschen Bücherei. Damit existieren seit Ende 1946 zwei Bibliotheken mit Aufgabenstellung und Funktion von Nationalbibliotheken. Es erscheinen fortan zwei inhaltlich nahezu identische nationalbibliografische Verzeichnisse.
Die Sammlung nach nicht-ideologischen Gesichtspunkten hat auch in der Nachkriegszeit Bestand. Aufbewahrt im "Giftschrank" gingen bestimmte Werke in Leipzig als sogenannte Bückware über den Tisch, wenn man die richtigen Leute kannte. Der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik von 1990 regelt auch die Vereinigung beider Einrichtungen.
"Das internationale bibliothekarische Engagement der beiden Häuser hat das Zusammenwachsen erleichtert", sagt Niggemann. Es gab dadurch sowohl persönliche als auch fachliche Kontakte. "Verlage aus beiden Teilen Deutschlands haben den jeweils anderen Standort auch in der Zeit der Teilung mit ihren Veröffentlichungen beliefert", sagt sie. Seit 2006 heißt die Bibliothek mit ihren Standorten in Frankfurt und Leipzig Deutsche Nationalbibliothek, so wie es von ihren Gründungsvätern einmal vorgesehen war.
Mittlerweile umfasst ihr Bestand an beiden Standorten rund 27 Millionen Medien, darunter Bücher, Zeitschriften, Tonträger. Im internationalen Vergleich ist das wenig: Die British Library in London etwa beherbergt 150 Millionen Medien und damit den größten Bibliotheksbestand der Welt.
371 Regalmeter - von Frankfurt nach Leipzig
2006 hat sich der Sammelauftrag der Nationalbibliothek um Netzpublikationen erweitert. Seitdem treibt die Bibliothek nicht nur digitale Ausgaben gedruckter Werke ein, sondern auch Medien, die ausschließlich online erschienen sind - vom Krimi bis zur Fachzeitschrift. Aber auch Internet-Links sollen mit Hilfe der Nationalbibliothek auf Dauer zugänglich bleiben. "Das Internet 'vergisst' mitunter sehr schnell, Links funktionieren nicht mehr, Inhalte verschwinden oder verändern sich", sagt Niggemann.
Trotz der rasanten Entwicklung digitaler Publikationen besteht der größte Teil der Sammlung in der Deutschen Nationalbibliothek noch immer aus Büchern. Die 21 Millionen Exemplare würden eine Regalbodenlänge von 371 Kilometer einnehmen, einer Strecke ähnlich der zwischen Leipzig und Frankfurt am Main.
Manche der Druckwerke sind sogar Extreme. So dürften unsportliche Menschen beim Schmökern des Bildbands "Greatest of all time" über Muhammed Ali ins Schwitzen kommen: Das Buch wiegt rund 34 Kilo. Das kleinste Buch der Welt, das "Bilder-ABC" von Joshua Reichert, passt dagegen mit seinen 2,9 Millimetern auf einen Fingernagel. Eine Lupe wird extra mitgeliefert.