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Freitag, 21. April, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Dornröschen"
Das Thema Transsexualität ist eher ungewöhnlich für einen Unterhaltungsfilm. Der Beitrag aus der Reihe "Praxis mit Meerblick" behandelt es mit der nötigen Sensibilität und einem überzeugenden Hauptdarsteller.

Wenn sich Menschen völlig deplatziert oder desorientiert vorkommen, bezeichnen sie diesen Zustand erheblichen Unbehagens gern als einen "falschen Film". Vermutlich beschreibt dieses Gefühl nicht mal annähernd, wie es Menschen geht, die im falschen Körper zur Welt gekommen sind: Eigentlich sind sie ein Mädchen, aber die Anatomie ist männlich; oder umgekehrt. Um einen solchen Fall geht es in "Dornröschen", dem zweiten neuen "Praxis mit Meerblick"-Film.

Die ARD-Freitagsreihe mit Anja Wedhorn als Ärztin auf Rügen bietet ohnehin stets mehr als bloßen Zeitvertreib, aber dass sie sich dieses Themas annimmt, ist aller Ehren wert, zumal das Drehbuch die Geschichte sehr differenziert und mit der angemessenen Sensibilität erzählt.

Hauptfigur ist ein zehnjähriges Kind, das einst als Leon auf die Welt gekommen ist, aber im vierten Lebensjahr den Namen Lea gewählt hat. Ihre Eltern (Maxi Warwel, Patrick Kalupa) sind damit gut klargekommen. Mit den Gleichaltrigen macht es sich das Autorenduo Lars Albaum und Marcus Hertneck vielleicht etwas einfach, aber auch in dieser Hinsicht gibt es anscheinend keine Probleme.

Antagonistin der Handlung ist daher Leas neue Ballettlehrerin (Inka Löwendorf), die im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin überhaupt nicht einsieht, dass ein Junge die weibliche Hauptrolle in dem Tschaikowsky-Ballett "Dornröschen" tanzen möchte. Lea, offenbar zum ersten Mal mit den wuchtigen Konsequenzen ihrer Entscheidung konfrontiert, wird durch diesen Affront buchstäblich aus der Bahn geworfen und stürzt mit dem Fahrrad vor dem Rettungswagen von Nora Kaminski. Die Ärztin nimmt das Mädchen mit in ihre Praxis, wenn auch weniger wegen der Schramme am Knie: Lea ist mit geschlossenen Augen mitten auf der Fahrbahn geradelt; als Nora die Hintergründe erfährt, fürchtet sie, das Kind sei suizidal.

Albaum hat die 2017 gestartete Reihe einst gemeinsam mit Michael Vershinin geschaffen. Die beiden haben klugerweise von Anfang an darauf verzichtet, die Hauptfigur als Überfrau zu konzipieren; im letzten Film ("Rügener Sturköpfe") ist die Ärztin gar empfindlich an die eigenen physischen und mentalen Grenzen gestoßen. Wann immer eine medizinische Herausforderung ihre eigenen Kompetenzen überschreitet, bittet sie andere um Rat, in diesem Fall erst mal Henning Stresow (Benjamin Grüter), schließlich ist der Praxispartner Psychotherapeut.

Er stellt unmissverständlich klar, dass Lea, sollte sie wirklich lebensmüde sein, umgehend in die Psychiatrie eingewiesen werden müsste. Als das Mädchen zufällig ein entsprechendes Gespräch ihrer Eltern mitkriegt, hält es sich prompt für einen "Psycho". Eine auf solche Fälle spezialisierte Psychologin (Pauline Knof) versichert zwar, Lea sei nicht suizidgefährdet, prognostiziert jedoch, dass sich die Problemlage mit der Pubertät verschärfen werde. Der Vater des Kindes will so schnell wie möglich nach Schweden auswandern, weil man dort im Umgang mit Menschen wie Lea deutlich weiter ist als hierzulande.

Regisseur Jan R?ži?ka, der mit "Dornröschen" seine elfte Episode für "Praxis mit Meerblick" gedreht hat, ist zwar ein Garant für Handwerk auf hohem Niveau, aber diesmal stand er vor einer besonderen Herausforderung: Wenn die zentrale Figur nicht funktioniert hätte, wäre der gesamte Film gescheitert. Lea muss ja nicht nur Sympathieträgerin sein, sondern auch in ihrem Konflikt überzeugen; und ihr Darsteller als Junge in einer Mädchenrolle.

Moritz Brandt nimmt die drei Hürden auch dank R?ži?kas Führung scheinbar mühelos. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt zudem Liselotte Krieger als Leas ältere Halbschwester Elsa, die sich fürsorglich um das deutlich jüngere Mädchen kümmert.

Wie stets gelingt es R?ži?ka, Albaum und Koautor Hertneck (in seinem siebten Drehbuch für die Reihe) zudem vorbildlich, die verschiedenen Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen, ohne Verwirrung zu stiften. Der Film erzählt zwar lauter Dramen, erfüllt aber dennoch die mit dem Sendeplatz verbundenen Erwartungen an einen Fernsehfilm zum Wohlfühlen, obwohl gerade die Erzählebene mit Noras Sohn Kai (Lukas Zumbrock) und ihrer Praxishilfe Mandy (Morgane Ferru) mit viel Schmerz verbunden ist: Der junge Anwalt, im letzten Film bereits für drei Monate gen Berlin entfleucht, bekommt zu Mandys großem Kummer eine außerordentliche berufliche Chance in Paris. Hintergründig ähnlich ernst, aber heiter aufgelöst sind dagegen die Sticheleien von Klara (Ruby M. Lichtenberg), der Tochter von Noras fast schon unrealistisch duldsamen Freund Max (Bernhard Pisk), die gewisse Probleme mit dem neuen Beziehungsstatus ihres Vaters hat.