Das queere Zentrum Fliederlich und der Verein Imedana aus Nürnberg haben sich Ende Februar mit einem offenen Brief an die Landesregierung gewandt. Die Antwort von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wollen sie so nicht hinnehmen.
epd: Sie haben in Ihrem offenen Brief mehrere Vorfälle aus Anker-Zentren geschildert, bei denen LGBTIQ-Personen Gewalt erlebt haben. Können Sie ein paar Beispiele geben?
Tobias Wöhner: Die Spannbreite ist sehr weit. Das geht über Beschimpfungen bis dazu, dass die Leute wirklich körperlich angegriffen werden. Bedrohung ist ein ganz großes Thema. Viele Geflüchtete berichten mir, dass Leute aus dem gleichen Herkunftsland oder aus sehr homophoben Herkunftsländern zu ihnen Sachen sagen wie: "In meinem Land wärst du schon längst umgebracht worden und das ist auch richtig so." Vor allem haben wir auch das ganz große Thema sexuelle Belästigung. Viele Trans-Frauen zum Beispiel berichten, dass sie angefasst werden, dass Männer zu ihnen kommen und Sex mit ihnen verlangen, dass Leute versuchen, nachts in ihre Zimmer einzudringen.
Diese Gewaltvorfälle passieren meistens in Anker-Zentren, schreiben Sie. Seitdem diese wieder sehr voll sind, kommt es häufiger zu Übergriffen. Was ist das Problem bei großen Sammelunterkünften?
Wöhner: Erst mal ist es für niemanden eine schöne Situation dort untergebracht zu sein. Die Ressourcen sind knapp, sehr viele Menschen aus unterschiedlichsten Ländern leben auf engem Raum zusammen, können oft nicht kommunizieren und es gibt Auseinandersetzungen. Viele Geflüchtete kommen aus Herkunftsländern, wo zum Beispiel Homosexualität gesetzlich verfolgt wird oder wo es kulturell und religiös begründet eine sehr starke Ablehnung von LGBTIQ gibt. Das nehmen die Leute natürlich auch ein Stück weit mit hierher. Queere Geflüchtete gehören sozusagen zur schwächsten Gruppe und sie können sich auch schlecht verstecken. Meistens gibt es keinen Schutzraum für sie.
Was macht das psychisch mit den Menschen, wenn die Verfolgung, vor der sie geflohen sind, hier in Deutschland weitergeht?
"Wenn ich gewusst hätte, was in Deutschland mit ihr passiert, dann wäre ich eher in Marokko geblieben"
Wöhner: Sehr früh, nachdem sie nach Deutschland gekommen sind, sind es oft hoch motivierte Leute mit einer schrecklichen Vergangenheit, die sie hoffen, in Deutschland endlich hinter sich lassen zu können. Oft erlebe ich in meinen Beratungen, dass sie durch die Situation in den Einrichtungen und durch das ganze Asylverfahren so gebrochen sind, dass man die Leute überhaupt nicht wiedererkennen kann. Bei mir ist es ganz besonders prägnant in Erinnerung geblieben bei einer lesbischen Frau aus Marokko. Sie hat irgendwann gesagt, wenn sie gewusst hätte, was in Deutschland mit ihr passiert, dann wäre sie eher in Marokko geblieben und hätte sich zwangsverheiraten lassen.
Wie helfen Rosa Asyl und Fliederlich den Menschen in dieser Situation?
Wöhner: Ich habe in zweieinhalb Jahren rund 200 Geflüchtete beraten. Primär geht es dabei um Asylrecht und Aufenthaltsrecht und ich helfe bei den Verfahren. Wenn es in den Einrichtungen zu Bedrohungssituationen kommt, versuchen wir mit allen verantwortlichen Stellen, also Gewaltschutzkoordinatorinnen, Sozialdiensten und so weiter Lösungen zu finden. Wir unterstützen auch bei Umverteilungsanträgen, damit die Leute da rauskommen. Bei uns vor Ort finden die Geflüchteten einen safe space, wo sie sich wohlfühlen können und zumindest ein wenig Zeit in der Woche haben, wo sie nicht bedroht, angegangen oder beleidigt werden.
Ende März kam die Antwort von Innenminister Herrmann auf Ihren offenen Brief. Er schreibt darin, dass er die meisten der geschilderten Vorfälle weder über die Polizei noch über andere Stellen nachvollziehen kann. Wie erklären Sie sich das?
Wöhner: Zunächst finde ich es sehr gut, dass sich der Innenminister die Mühe gemacht hat, zu recherchieren und uns eine Antwort zukommen zu lassen. Der Punkt ist, wenn da keine Meldungen vorliegen, dann zeigt es für mich eher, dass es ein strukturelles Problem darin gibt, dass diese Vorfälle wohl nicht genügend erfasst oder die entsprechenden Konsequenzen daraus gezogen werden. Das lässt sich auch durch die Hürden erklären, die Geflüchtete haben, zur Polizei zu gehen. Einmal durch die sprachliche Barriere, aber auch weil einige in ihren Herkunftsländern gewohnt sind, als homosexuelle Menschen selbst festgenommen zu werden. Es müssen Möglichkeit geschaffen werden, wie die Leute sich möglichst barrierefrei bemerkbar machen können.
In der Antwort räumt Herrmann ein, dass besondere Schutzräume für queere Geflüchtete, die es in Nürnberg gibt, wegen der Überfüllung auch mit anderen Menschen belegt werden mussten. Er weist aber darauf hin, dass es Gewaltschutzkoordinatoren gibt, an die sich Betroffene wenden können. Wieso kommen diese nicht gegen die Gewalt an?
Wöhner: Wir arbeiten eng und vertrauensvoll mit den Gewaltschutzkoordinatoren zusammen und ich erlebe sie immer als hoch engagierte Kolleginnen und Kollegen. Aber je mehr Geflüchtete da sind, desto mehr Leute wollen natürlich zu ihnen. Die Personalausstattung könnte aus meiner Sicht besser sein. Und dann ist natürlich immer die Frage, was der Handlungsspielraum ist. Herr Herrmann sagt ja selbst, dass keine Plätze frei gehalten werden können. Da müssen sich auch die Verantwortlichen Fragen: Was können wir überhaupt mit den Leuten machen?
Wie muss es aus Ihrer Sicht jetzt weitergehen?
Wöhner: Wir stehen in Kontakt mit verschiedenen Parteien und machen Öffentlichkeitsarbeit dazu. Vor kurzem hatten wir ein Vernetzungstreffen mit verschiedenen Abgeordneten der FDP. Wir haben auch inzwischen von den Grünen im bayerischen Landtag eine Rückmeldung bekommen, dass sie das Thema auf dem Schirm haben. Wichtig wären Schutzunterkünfte für LGBTIQ-Geflüchtete. In Nürnberg gibt es zum Beispiel aktuell zwei Häuser mit insgesamt 50 Plätzen. Das brauchen wir zumindest in allen großen bayerischen Städten, damit es überhaupt genug Platz für die Leute gibt, um in so eine Unterkunft zu kommen und dort sicher zu sein.