Die Ausflüge zu den Tieren plant Barbara Schmid, Einsatzleiterin des Fuge-Projekts, stets sehr umsichtig und rücksichtsvoll, sind doch einige der Teilnehmer psychisch erkrankte Seniorinnen und Senioren. Es ist wichtig, dass alle immer wissen, wo sie hinmüssen, wie es weitergeht, dass keiner verloren geht und dass es genügend Pinkelpausen gibt. Mancher Teilnehmer hat eine persönliche Begleitung dabei, die Unterstützung durch diese Ehrenamtlichen schätzt Schmid sehr.
"Fuge" steht für "Freiwillige unterstützen gerontopsychiatrisch erkrankte Esslingerinnen und Esslinger". Für dieses Projekt arbeiten die Krankenpflegevereine in Esslingen am Neckar - sie sind teils evangelisch, teils ökumenisch - zusammen. Der Verein Miteinander-Füreinander, der vor allem im Esslinger Norden in der Seniorenarbeit engagiert ist, fördert das Projekt zunächst für zwei Jahre finanziell. Der Verein selbst erhält seit fünf Jahren jährlich eine Unterstützung der Lore-Mackh-Stiftung.
Ausflugsziele sind landwirtschaftliche Betriebe rund um Esslingen, zum Beispiel ein Hühnerhof. Diesmal, kurz vor Ostern, fuhr eine Gruppe mit dem Linienbus nach Kernen im Remstal. Dort hat die Gartenschau von 2019 dauerhafte Spuren hinterlassen, seither gibt es einen Schafwanderweg, an dem ein großer Schafstall liegt. In diesem kümmern sich die passionierte Hobby-Schäferin Christine Brencher, die gelernte Landwirtin ist, und 15 Ehrenamtliche um vier Schafrassen: um Coburger Füchse, Krainer Steinschafe, Brillenschafe und Braune Bergschafe.
Schafe sind neugierig auf Schuhe und Taschen
Weil diese Schafe oft Besuch bekommen, unter anderem von Schulklassen, sind sie diesen gewohnt. Kaum war die Seniorengruppe im Stall, interessierten sich die Schafe und vor allem Lämmer neugierig für Schuhe und Schnürsenkel, Taschen und vieles mehr - ohne irgendetwas zu beschädigen. Brencher zeigte, wie sich ein Lamm in den Armen halten lässt - so, dass die Beine nach unten hängen. "Bitte danach ganz langsam abstellen." Sie erklärte auch, warum die Krainer Steinschafe so zottelig sind: "Das sind Milchschafe, da hat man sich bei der Zucht nicht um die Wolle gekümmert."
Schmid hat schon oft beobachtet, wie gut die Begegnung mit Tieren den psychiatrisch erkrankten Menschen tut. Sie weiß, dass das Glück vielleicht nicht auf der Straße, aber auf jeden Fall im Schaf- oder Hühnerstall liegt. "Ein an Demenz erkrankter Mann, der sonst immer schweigsam ist, begann plötzlich wieder zu reden. Eine Frau mit Zwangsstörung war wie befreit", erzählt sie. Glücklich streichelte ein Mann, der unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, das Huhn auf seinem Arm. Eine Frau mit Autismus liebkoste hingebungsvoll ein Kaninchen. "In der Begegnung mit den Tieren kommen Erinnerungen hoch", sagt sie.
Nicht jeder Teilnehmer ist psychisch erkrankt, die Ausflüge sind inklusiv und jeder ist willkommen - und kann sich, wenn er will, nützlich machen. Nach dem Stallbesuch ging es weiter zu einigen Lämmern, die Brencher näher bei sich zu Hause hält, denn sie muss ihnen alle drei Stunden die Flasche geben. Bei ihnen gibt die Schafmama keine oder nicht genügend Milch. Die Erfahrenen haben den Dreh mit dem Saugen längst raus, die ganz jungen Lämmer üben noch und brauchen etwas menschliche Hilfe. Diese gab es auch von der Seniorengruppe.
Die Lämmer wachsen schnell: Bei der Geburt haben sie rund zweieinhalb Kilogramm, beim Seniorenbesuch waren sie zwischen fünf Tagen und vier Wochen alt und drei bis vier Kilogramm schwer. Sie sind schon nach einigen Monaten geschlechtsreif. Deshalb müssten die jungen Böcke nach dreieinhalb bis vier Monaten separiert werden, erklärte Brencher. Einmal geschah das nicht schnell genug, dann gab es in diesem Jahr zweimal Nachwuchs. "Das muss nicht sein", sagt die Hobby-Schäferin. Denn zu tun gibt es auch so genug.