Die Grünen-Politikerin und frühere Vizepräsidentin des Bundestags, Antje Vollmer, ist tot. Sie starb am Mittwoch, wie Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) am Donnerstag im Parlament mitteilte. Vollmer starb im Alter von 79 Jahren.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte an Vollmer als "ebenso leidenschaftliche wie profilierte Politikerin". Steinmeier kondolierte ihrem Sohn, Johann Vollmer, in einem vom Bundespräsidialamt veröffentlichten Schreiben.
Als erste Bundestagsvizepräsidentin der Grünen habe Antje Vollmer mit ihrer Fähigkeit zum Dialog und ihrer "klaren, engagierten Amtsführung ein Zeichen" gesetzt, so Steinmeier. Bereits in ihren ersten Jahren im Parlament, etwa während der Diskussion um den Nato-Doppelbeschluss, habe sie sich großen Respekt erworben. Stets sei es der "engagierten Theologin" um die Menschen gegangen. "Ihr tiefer Glaube war das Fundament ihres Handelns und auch ihres Schreibens und machte sie zur leidenschaftlichen Demokratin und ebenso leidenschaftlichen Europäerin."
Kurschus: Vollmer hat Enormes bewirkt
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, kondolierte den Angehörigen der Verstorbenen. Die evangelische Kirche trauere um eine engagierte Theologin, Autorin und Politikerin, "die Enormes bewirkt und viele Menschen bewegt hat", heißt es im am Freitag veröffentlichten Kondolenzschreiben von Kurschus. Sie habe besonders beeindruckt, "wie konsequent und unbeirrt sich Antje Vollmer eingesetzt hat für Menschen, denen schweres Unrecht zugefügt wurde und die keine Lobby in unserer Gesellschaft haben", erklärte die westfälische Präses.
Hervorzuheben sei der Runde Tisch Heimerziehung, der eingerichtet wurde, um Missstände und Gewaltfälle in der Heimerziehung im westlichen Nachkriegsdeutschland aufzuarbeiten. Vollmer war Vorsitzende des Gremiums. "Es gelang ihr, die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung von Betroffenen zu erwirken. Davor habe ich ehrliche Hochachtung", so Kurschus. Auch die Kirchen als Träger vieler Heime zahlten in den Fonds ein.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) würdigte Vollmer, die nach langer Krankheit gestorben war, auf Twitter als "engagierte Vorkämpferin für echte Gleichstellung und mutige Mahnerin mit klarer Haltung". Bas würdigte zur Eröffnung einer Bundestagssitzung am Freitag die Verstorbene als Pionierin. Vollmer habe als erste Grünen-Politikerin das Amt der Bundestagsvizepräsidentin mit Leidenschaft und Würde ausgefüllt. In fünf Wahlperioden habe sie den Bundestag und ihre eigene Partei entscheidend mitgeprägt. Das Land habe "eine herausragende Parlamentarierin verloren."
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Nach Bas Worten hat Vollmer während ihrer gesamten politischen Laufbahn und nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag über politische Lager und Milieugrenzen hinweg stets auf Dialog gesetzt und sich außenpolitisch mit ihrem Engagement für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit insbesondere im deutsch-tschechischen Verhältnis große Anerkennung erworben.
Die promovierte evangelische Theologin und Pastorin war von 1994 bis 2005 als erste grüne Politikerin Vizepräsidentin des Bundestags. 1984 gehörte sie zu der damaligen Fraktionsleitung, die erstmals nur aus Frauen bestand (Feminat). Vollmer kam 1983 in den Bundestag als Mitglied der ersten grünen Bundestagsfraktion überhaupt. 2005 trat sie nicht mehr für die Wahl als Abgeordnete an.
Die heutige grüne Vizepräsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, würdigte das Vermächtnis ihrer Vorgängerin. Vollmer habe "vieles von dem durchgekämpft, wovon wir heute profitieren. Die weibliche 3-er Spitze war legendär", schrieb Göring-Eckardt auf Twitter. Sie habe zudem immer ihren eigenen Kopf behalten. Vollmer hatte zuletzt das umstrittene "Manifest für den Frieden" der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer unterschrieben, das zu Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufruft.
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Vollmer hat sich während ihrer politischen Laufbahn aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus mehrfach gegen die Linie ihrer Partei gestellt und sich etwa gegen den Einsatz der Nato im Krieg in Jugoslawien und gegen den Afghanistan-Krieg gewandt. Sie beschäftigte sich ihr Leben lang mit der deutschen NS-Vergangenheit und dem Widerstand gegen das Nazi-Regime, über den sie nach ihrer politischen Laufbahn auch als Publizistin arbeitete. Sie setzte sich für die Entschädigung der Opfer ein, so etwa von Zwangsarbeitern und Homosexuellen.
Die Grünen-Politikerin suchte immer wieder die Rolle der Vermittlerin und Moderatorin, zum Beispiel als sie 2009 den Vorsitz des Runden Tisches Heimerziehung übernahm, an dem die Verbrechen an Heimkindern in der frühen Bundesrepublik aufgearbeitet wurden. Im Anschluss wurde ein Fonds zur Unterstützung der Betroffenen gegründet.
Vollmer wurde im westfälischen Lübbecke geboren und lebte viele Jahre in Bielefeld. Sie hinterlässt einen Sohn.
Sie studierte 1962-66 evangelische Theologie in Berlin, Heidelberg, Tübingen und Paris. Sie war Assistentin an der Kirchlichen Hochschule Berlin, absolvierte ein Zweitstudium (mit Diplom) in Erwachsenenbildung und gewann Gemeindepraxis in Berlin-Wedding. 1973 folgte die Promotion zur Dr. Phil.
Antje Vollmer wurde unter anderem ausgezeichnet mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille (1989), dem Hannah-Arendt-Preis (1998) und dem Hildegard Hamm-Brücher-Förderpreis (2014). Ab 2005 war sie als freie Autorin sowie in ehrenamtliche Tätigkeiten aktiv. 2006 erhielt sie das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.