Ramazan fährt mit der Stichsäge über die rechteckige Holzplatte, auf der ein Zebrakopf eingebrannt ist. Ob sie nun passt? Der 14-jährige Flüchtling aus Nordmazedonien legt den Kopf mit kritischem Blick schief und drückt die Holzplatte auf den Rahmen, eine alte Weinkiste. Nein: Da muss noch etwas geschmirgelt werden.
Vier junge Männer werkeln konzentriert mit Säge, Akkuschraubern, Brennstab und Schleifpapier an ihren Projekten: Bei einem Workshop in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) Speyer bauen sie seit knapp einem Monat an Cajons: Die Trommeln stammen ursprünglich aus Peru. Die Spieler sitzen darauf und bearbeiten die hölzernen Wände mit beiden Händen.
"Wenn ich Musik mache, kann ich die Gefühle meiner Seele ausdrücken", erzählt der Baseball-Kappenträger Ramazan, der in seiner Heimat in einer Hip-Hop-Band spielte. Für ihn und die anderen jungen Männer aus Syrien und Afghanistan sei der eigenhändige Bau einer Cajon eine gute Möglichkeit, der Langeweile und dem Stress in dem Aufnahmelager zu entfliehen, sagt die Sozialpädagogin Barbara Leisten. Sie organisiert im Auftrag der Diakonie Pfalz Workshops zum Bau der musikalischen Holzkisten - auf Wunsch der meist muslimischen Eltern für Jungen und Mädchen getrennt.
Das Angebot ist Teil des Projekts "Sonnenschein" der AfA, das Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit verschiedenen Beschäftigungsangeboten ein paar schöne Stunden in ihrem tristen Alltag machen will. Mehr als 1500 Menschen aus 30 Nationen leben in der Aufnahmeeinrichtung in der ehemaligen Kurpfalz-Bundeswehrkaserne auf engstem Raum in Wohnblöcken, riesigen Thermozelten und einer Turnhalle zusammen. Die Aufnahmekapazität sei erreicht, sagt AfA-Leiter Steffen Renner. "Deshalb ist es wichtig, dass sie etwas tun können, das zu ihrem allgemeinen Wohlbefinden beiträgt."
Über Sprachgrenzen hinweg
Viele Jugendliche seien durch Kriegs- und Fluchterlebnisse traumatisiert, machten sich große Sorgen um ihre Zukunft, und manche seien von ihren Familien getrennt, erzählt Sozialpädagogin Leisten. Zweimal pro Woche lädt sie die Jungen im Alter von 13 bis 15 Jahren zu ihrem Workshop in ihr "Atelier", eine alte Halle, ein.
Dort liegen Holzteile, Schrauben und Werkzeuge auf Tischen verteilt, in einer Ecke werden die fertigen, kniehohen Cajons mit bunten Farben bemalt. Leider gelingt es den meisten Workshop-Teilnehmern nicht, ihr Instrument fertig zu stellen. Viele der Flüchtlinge gingen oft ganz plötzlich "in den Transfer", sagt Leisten. Sie verließen die AfA und bezögen eine Wohnung in einer Kommune oder kämen in eine andere Flüchtlingseinrichtung.
Der gemeinsame Trommelbau führe die jungen Flüchtlinge auch über Sprachgrenzen hinweg zusammen, sagt Hans-Peter Stadler. Der ehrenamtliche Helfer leitet die Jugendlichen handwerklich an. In jeder Kultur gebe es Trommeln, "sie sind ein Ur-Instrument".
Pläne schmieden für die Zukunft
Wenn sie trommelten, seien ihre Jungs und Mädels völlig losgelöst, und sie vergäßen für einen glücklichen Moment ihre schwierigen Lebensumstände, ergänzt Workshop-Leiterin Leisten. Bewusst spricht sie die Jungen nicht auf ihre Ängste und Sorgen an. "Ich will nichts aufreißen", sagt sie. Doch manche von ihnen öffneten sich nach einer Weile und sprächen sich alles, was sie belaste, von der Seele.
Mohammed strahlt über das ganze Gesicht und zeigt stolz das Gerippe seiner Cajon. "Man kann sich mit dem Bau die Zeit vertreiben und Kontakte knüpfen", sagt der junge Syrer, der seit fünf Monaten mit seiner Familie in der AfA lebt. Später einmal will er Polizist werden, mit Joggen auf dem Gelände macht er sich fit. "Es ist wichtig, dass es Regeln gibt und dass man sich an sie hält", sagt der 14-Jährige.
Auch Rauf (15), der ebenfalls aus Syrien stammt, hat große Zukunftspläne, wenn er einmal richtig in seiner neuen Heimat Deutschland angekommen ist: "Ich möchte Chirurg werden." Plötzlich fängt Ramazan auf einer Cajon an zu klopfen: bumm-bumm-bumm. Die Jungs lächeln einander an, setzen ebenfalls ein. Auch ohne Worte versteht man sich. "Musik", sagt Sozialpädagogin Leisten, "ist international".