Jung sagte nach der Rückkehr von einer Griechenland-Reise dem Evangelischen Pressedienst: "Als Wertegemeinschaft sind wir dazu verpflichtet." Das gehe nur im europäischen Verbund, "die Aufgabe darf nicht an Ländern mit Außengrenzen wie Griechenland oder Italien hängenbleiben".
Ihn belasteten die menschenrechtswidrigen Handlungen an den EU-Außengrenzen sehr, sagte Jung. Geflüchtete würden geschlagen, inhaftiert oder zurückgeschickt. Neben diesen "Pushbacks" ereigneten sich auch immer wieder sogenannte "Driftbacks", bei denen Schutzsuchende etwa auf schwimmenden Inseln wieder auf dem Meer ausgesetzt würden.
"Hier muss dringend hingeschaut werden", forderte der Kirchenpräsident. "Wir werden an Menschen, die mit Gewalt zurückgewiesen werden, als europäische Gemeinschaft schuldig. Wir sind nicht in der Lage, für Menschenrechte und Menschenwürde einzustehen, die wir uns auf die Fahne geschrieben haben."
Jung hatte mit einer Delegation aus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau das Flüchtlingscamp Diavata nahe Thessaloniki besucht und sich einen Überblick über die Situation der Menschen dort verschafft. Ein Besuch in einem Camp auf der Insel Lesbos kam nicht zustande. Eingeladen zu der Reise hatten die Organisationen "Naomi" und "Lesvos Solidarity", mit denen die Landeskirche schon seit 2016 zusammenarbeitet.
Zahl der Toten nach Bootsunglück steigt weiter
Nach dem Bootsunglück im Mittelmeer befürchten Retter mehr als 100 Tote. Am Montagmorgen seien noch einige Leichen geborgen, meldete die italienische Nachrichtenagentur Ansa. Weitere Überlebende wurden hingegen nicht gemeldet. Die Zahl der bislang bestätigten Opfer stieg den Berichten zufolge damit auf 62, darunter auch Kinder und viele Frauen.
Auf dem Boot, das am Wochenende an der Küste bei Crotone im Süden Italiens auseinandergebrochen war, waren nach Berichten einiger Überlebender rund 180 Flüchtlinge und Migranten. 80 von ihnen konnten am Sonntag lebend gerettet werden.
Bei der gefährlichen Flucht über das Mittelmeer kamen laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) allein im vergangenen Jahr mindestens 2.406 Flüchtlinge und Migranten ums Leben oder wurden vermisst. In diesem Jahr waren es schon mehr als 200. IOM-Generaldirektor António Vitorino zeigte sich am Montag tief erschüttert von den erneuten Verlusten menschlichen Lebens. Dies zeige, dass das Retten von Leben immer Vorrang in der Migrationspolitik haben müsse, mahnte er auf Twitter.
Die italienischen Behörden müssten endlich die privaten Seenotrettungsschiffe vor den Küsten Italiens kreuzen und in allen Häfen vor Anker gehen lassen, forderte der Beauftragte für Flüchtlingsfragen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Christian Stäblein. "Es ist unmenschlich, unwürdig und beschämend, dass wir diese Hilfesuchenden nicht rechtzeitig auf sichere Schiffe bergen und ans europäische Festland bringen können", betonte er. "Was sagt das über unsere Mitmenschlichkeit aus? Für Europa muss klar sein und bleiben: Man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt."