Nur eine dünne Decke hatte ein Obdachloser bei sich, den Kevin Hüvelmann in Kassel am Bahnhof Wilhelmshöhe traf. Ihm schenkte er einen Schlafsack: "Er hat sich sehr gefreut, weil er für ihn so wertvoll war." Kurz vor Weihnachten begegnete er dort gegen Mitternacht bei Minusgraden einem Syrer, unterkühlt, ohne Socken und Jacke. Ihn brachte er mit Freunden in eine Bankfiliale zum Aufwärmen und alarmierte den Notruf.
Noch vor dem Rettungswagen sei ein Sicherheitsmann der Bank eingetroffen, um ihn des Hauses zu verweisen, und die Polizei, die ihn nach einem Gespräch schließlich an einen warmen Ort gebracht habe: "Wären wir nicht gewesen, wäre er einfach zurück in die Kälte geschickt worden", ist Hüvelmann überzeugt.
Der 33-jährige Mechatroniker hat es sich zur Aufgabe gemacht, dorthin zu gehen, wo andere wegschauen. Er kümmert sich im Winter um Obdachlose in Kassel - und das seit zehn Jahren: "Ich möchte Menschen, die Hilfe brauchen, Hilfe geben."
Sein Antrieb ist der Glaube - die Entscheidung, Nächstenliebe und Barmherzigkeit zu leben: "Ich möchte nicht nur glauben und reden, sondern das Handeln sollte den sichtbaren Unterschied machen", sagt der bekennende Christ. Zum Glauben habe er vor zehn Jahren gefunden, nach dem Tod von Menschen, die ihm nahestanden.
Schlafsäcke und warme Kleidung
"Die Worte Jesu haben mich berührt", sagt Hüvelmann, so wie diese: "Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet." (Matthäus 25, 35 und 36) Deshalb ist er regelmäßig, vor allem abends, am Bahnhof Wilhemshöhe und in der Kasseler Innenstadt unterwegs und hält Ausschau nach Menschen ohne Obdach: "Denn die Nächte sind in der Kälte am schlimmsten."
Hüvelmann spricht die Obdachlosen an, spendet ihnen Trost, gibt ihnen Schlafsäcke, die er von Spenden kauft oder aus eigener Tasche bezahlt, schenkt ihnen Mützen und Handschuhe oder warme Kleidung. Oder er hat etwas zu essen und heißes Wasser in Flaschen dabei und versucht, die Menschen in Notschlafstellen oder privat unterzubringen. Wenn die Temperaturen in Richtung null Grad gingen, halte es ihn kaum zu Hause, sagt er. Mit dabei seien oft seine Partnerin, Freunde und Kollegen.
Zu wenig Schlafplätze
Seine Touren macht Kevin Hüvelmann, der in der Produktion des Daimler-Werks in Kassel arbeitet, nach Schichtende oder am Wochenende. Kürzlich traf er einen Obdachlosen wieder, dem er vor Jahren geholfen hatte und der ihn bei diesem Wiedersehen dankbar umarmte. Damals, morgens um sechs Uhr nach der Nachtschicht, sah er ihn, wie viele andere, frierend in der Innenstadt: "Andere blieben kurz stehen und gingen einfach weiter. Ich wollte nicht so sein und habe eine Unterbringung für ihn gesucht."
Nach Angaben der Stadt sind in Kassel aktuell rund 1100 Menschen ohne eigene Bleibe, darunter mutmaßlich 150 auf der Straße lebend. Im Winter stünden knapp 60 Notschlafplätze zur Verfügung. Der darüber hinaus gehende Bedarf werde über Schlafplätze in Hotels gedeckt. Nach Beobachtung von Hüvelmann haben jedoch etwa EU-Bürger aus Osteuropa kaum eine Chance auf einen solchen Platz, weil sie rechtlich keinen Anspruch auf Hilfe hätten. Oft fühle sich niemand zuständig, schildert er seine Erfahrung.
Debatte anstoßen
Dem widerspricht die Stadt, ebenso Einrichtungen wie der Verein Soziale Hilfe und das Sozial-Center der Heilsarmee in Kassel, die von der Stadt finanzierte Notschlafstellen anbieten: Für Kassel gelte, dass jeder Mensch Kältehilfe erhalte, egal ob ein Anspruch auf Sozialhilfe bestehe oder nicht. Amrei Tripp vom Verein Soziale Hilfe und Lars Hunold von der Heilsarmee betonen: In Kassel müsse niemand erfrieren, es gebe ein funktionierendes Hilfesystem.
Kevin Hüvelmann glaubt, es könne noch mehr getan werden. Mit seiner Initiative möchte er deshalb eine Debatte über die Situation Obdachloser anstoßen. In Deutschland leben nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BGW) in Berlin im Laufe eines Jahres 45.000 Menschen auf der Straße. Der Kasseler appelliert an die Mitmenschlichkeit: "Jeder kann helfen." Er wünsche sich zum Beispiel auch, dass die Kirchen mehr täten und im Winter mehr Räume öffneten.