Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus (EKD), hat zum Widerstand gegen Rassismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit aufgerufen. Es werde nie den Augenblick geben, in dem wir sagen können: "Jetzt sind wir fertig damit", sagte Kurschus am Sonntag bei einem Gedenkgottesdienst für die Opfer des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau. Den Anschlag nannte sie eine "Zeitenwende". Dem Hass entgegenzutreten bleibe eine tägliche Aufgabe, betonte sie laut Predigtmanuskript in der Marienkirche.
Die Menschen sollten nicht erst dann handeln, "wenn sich der Rassismus besonders aufdringlich und spektakulär aufbläst", sagte Kurschus. Es gehe viel früher los, in ganz kleinen Alltagssituationen. "Da braucht es oft gar nicht so viel Mut, aber eben doch Mut, um eine verächtliche Bemerkung zu kontern oder einer populistischen Parole zu widersprechen." Jedes Widersprechen habe Wirkung. "Man kann etwas gegen Rassismus tun. Viel sogar. Da helfen zum Beispiel möglichst viele Begegnungen, möglichst viel Menschenliebe."
Die Ratsvorsitzende dankte den Angehörigen der Ermordeten und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern auch für die vielen Gespräche, Begegnungen, Initiativen und Projekte, "die das Zusammenleben gerechter machen". Sie hätten zudem mit "Geduld und Zorn und Beharrlichkeit" die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erreicht, "der bis heute nach der Wahrheit sucht". Auch diese Beharrlichkeit sei ein Ausdruck von tatkräftiger Liebe.
Am Mittag kamen auf dem Marktplatz rund 500 Menschen aus Politik, Bürgerschaft und Religionsgemeinschaften zu einer Gedenkstunde zusammen. An ihr nahmen neben Kurschus auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) teil. Ansprachen hielten lediglich der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und Angehörige der Opfer.
Kaminsky rief dazu auf, sich gegen Hass, Rassismus, Hetze und Überlegenheitsfantasien - "dieses gefährliche Gift" - zu wehren und für eine wachsame und kämpferische Demokratie einzutreten. "Deshalb sagen wir allen Rassisten, allen Antidemokraten, ja allen, die mit ihren Parolen unser Land vergiften: Wir sind mehr! Und wir sind stärker als euer Hass!"
Kaminsky verwahrte sich auch gegen Stimmen, die ein Ende des Gedenkens forderten. "Gegenüber den Angehörigen ist dies eine Anmaßung und für unsere Gesellschaft im Allgemeinen und unsere Stadtgesellschaft im Besonderen wäre es schlichtweg falsch", betonte er. Der 19. Februar müsse neben der Erinnerung an die Ermordeten "ein dauerhafter Tag der Reflexion, der Prüfung, der Selbstvergewisserung" sein. Zudem müsse weiter an der Aufdeckung der Tathintergründe gearbeitet werden.
Auch Ministerpräsident Rhein und sein Stellvertreter Al-Wazir erklärten am Sonntag in Wiesbaden, dass es für die "grausamen, unfassbaren" Morde niemals ein Vergessen geben könne. "Wir müssen alles in unserer Macht Stehende dafür tun, damit sich so eine furchtbare Tat nicht wiederholt. Nicht in Hanau und nirgendwo sonst", sagte Rhein.
Nach dem Gedenkakt auf dem Hanauer Marktplatz kamen die Teilnehmenden auf dem Hauptfriedhof zusammen. Dort wurde für jedes der Opfer ein Blumengesteck niedergelegt, ebenso auf den anderen Friedhöfen im In- und Ausland, auf denen die Opfer beerdigt sind. Am Nachmittag und Abend sollten in Hanau eine Demonstration gegen Rassismus und weitere Gedenkveranstaltungen stattfinden.
Am 19. Februar 2020 hatte ein 43-jähriger Deutscher in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst.