Schon allein diese Idee garantiert dem einst von Alexander Adolph und Eva Wehrum geschaffenen Trio aus "München Mord" ein Alleinstellungsmerkmal. Warum die drei vor rund zehn Jahren aussortiert worden sind, ist längst in Vergessenheit geraten und spielt auch keine Rolle mehr; hin und wieder wird allerdings angedeutet, dass der Chef, Kriminalhauptkommissar Schaller (Alexander Held), psychische Probleme hatte. Dass die von ihm konsequent "Fräulein Flierl" genannte Kollegin (Bernadette Heerwagen) trotz ihrer sympathischen Naivität immer noch für die Kripo arbeiten darf, hat sie wohl in erster Linie ihren Onkeln zu verdanken, die hohe Führungspositionen innehaben. In der sechzehnten Episode wanzt sich der karrierefixierte Kriminaloberrat Zangel (Christoph Süß) kräftig an die Mitarbeiterin ran, weil er ihren Oheim als Polizeipräsident beerben will.
Trotzdem speist Zangel die drei auch diesmal wieder mit einer jener Aufgaben ab, auf die sonst niemand Lust hat. Wie sie dennoch erneut in eine spektakuläre Ermittlung geraten, ist ziemlich clever eingefädelt: Eigentlich sollen Angelika Flierl und Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) einer Mutter mitteilen, dass die Suche nach ihrem als vermisst gemeldeten Sohn Benno eingestellt wird, denn der Junge ist zwischenzeitlich volljährig geworden und kann nun tun und lassen, wozu er Lust hat. Unversehens geraten die beiden in ein Handgemenge: Mitglieder eines Kampfsportclubs raufen sich mit einem Mann, der angeblich soeben ihren Trainer ermordet hat.
Flierl trennt die Kombattanten unter beherzter Zuhilfenahme eines Feuerlöschers, aber der Trainer ist in der Tat aus nächster Nähe erschossen worden. Die Waffe liegt auf dem Schreibtisch vor ihm, doch der Mann, der sich später Nick (Franz Dinda) nennen wird, beteuert seine Unschuld. Das hindert ihn nicht daran, Flierl während der Vernehmung zu überwältigen, und nun beginnt, was seit einer Geiselnahme vor rund fünfzig Jahren als "Stockholm-Syndrom" bekannt ist: Die Oberkommissarin entwickelt unübersehbare Sympathien für ihren Entführer.
Schon allein dieser Teil der Geschichte birgt genug Stoff für einen fesselnden Krimi, aber Walendy entwirft ein Szenario, das der Handlung eine ungleich größere Dimension verleiht: Nick gesteht der Polizistin zwar, in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein, aber nur als Handlanger. Im Hintergrund geht es um einen Überfall auf eine Bundeswehrkaserne, bei der Dutzende Gewehre und Pistolen gestohlen worden sind. Weil außerdem ein arroganter Bundespolizist mitmischt, scheint der Fall klar zu sein, denn der Mann wird von Andreas Lust verkörpert, und der Österreicher spielt im Krimi immer den Schurken. Tatsächlich ist die Sachlage jedoch viel komplizierter.
Daraus hätte auch ein Thriller werden können, aber Jan Fehse hat seinen sechsten "München Mord"-Krimi mit gewohnter Leichtigkeit umgesetzt, zumal ihm Walendy viele Vorlagen für heitere Momente liefert. Die originellste Idee des Films ist die Täterbeschreibung: Nick erinnert Flierl mit seinem Oberlippenbart und den markanten Augenbrauen an Doktor Schiwago, den von Omar Sharif verkörperten Arzt aus dem gleichnamigen Klassiker von David Lean (1965); das ist zumindest eine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum sie sich zu ihm hingezogen fühlt. Franz Dinda versieht den Mann mit einer charismatischen Aura, die dennoch offen lässt, ob die Polizistin nicht doch Sympathie für den Teufel empfindet.
Walendy hat den subtilen Humor von "München Mord" perfekt getroffen; die Heiterkeiten der Reihe resultieren gern aus der Konfrontation des Trios mit typischen Unwägbarkeiten des Alltags. Wie clever das Drehbuch konzipiert ist, zeigt sich unter anderem gegen Ende, als sich rausstellt, dass der verschwundene Benno keineswegs bloß ein Vorwand war, um die eigentliche Handlung einzuleiten. Fehse hat den perfekten Tonfall für die Vorlage gefunden, zumal er die eingestreuten Pointen mit der richtigen Beiläufigkeit umgesetzt hat.
Einige Szenen sind allerdings auch fröhliche Comedy, wenn Neuhauser beispielsweise beim Schusstraining den harten Bullen markiert, aber bloß Fahrkarten produziert. Fehses Arbeiten, darunter auch mehrere Episoden für die vorzügliche ZDF-Reihe "Spreewaldkrimi", sind ohnehin stets sehenswert. Zuletzt hat er die Tragikomödie "Geliefert" (2021, ARD) mit Bjarne Mädel gedreht; der Hauptdarsteller hat für seine Rolle als gestresster Paketbote den Grimme-Preis bekommen.