Wer in diesen Tagen mit Muhamed Najeeb Sayd Ahmad telefoniert, um mit ihm über die Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien zu sprechen, hört vor allem Stille in der Leitung. Ahmad fehlen die Worte angesichts der Dramen, die sich in seiner Heimat abspielen.
Ahmad kam 2014 als Kriegsflüchtling nach Goslar. Inzwischen ist der 37-Jährige, der an der Aleppo-Universität Pharmazie studiert hat und 2017 nach einer Kenntnisprüfung in Deutschland seine Approbation erhielt, Inhaber von zwei Apotheken in Goslar: der Hubertus- und der Löwenapotheke.
Ahmads Familie stammt aus Aleppo, zahlreiche seiner Verwandten leben in der rund 80 Kilometer entfernten Kleinstadt Salkin in der Region Idlib - in dem vom Beben besonders stark getroffenen Nordwesten Syriens. "Der Krieg, die Armut, die Pandemie und nun dieses schreckliche Erdbeben - die Situation ist für die Menschen dort unglaublich heftig", sagt Ahmad.
Seine Eltern in Aleppo seien mit einem Riesenschrecken davongekommen. Auch dort habe die Erde eine halbe Minute lang heftig gebebt. "Aber ihr Haus steht noch, aber in Salkin…" Er holt tief Luft. Ein Freund, der dort als Apotheker arbeitet, habe seine gesamte Familie verloren. Vater, Mutter, Ehefrau und die kleinen Kinder, ein und drei Jahre alt - sie alle seien tot. "Wir haben eine Familien-WhatsApp-Gruppe", sagt Ahmad, "immer wieder kommen Nachrichten, dass jemand verletzt oder gestorben ist. Es tut richtig weh."
Flucht vor Militärdienst und Bürgerkrieg
Ahmad möchte nichts lieber, als in seine Heimat zu reisen. Er will seine Eltern in die Arme schließen, anpacken, trösten, helfen. Mit seinen pharmazeutisch-medizinischen Kenntnissen würde er gebraucht. Doch zurück nach Syrien kann er nicht. Ahmad ist 2013 desertiert.
Zwei Jahre zuvor, als in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach, musste er seinen zweijährigen Militärdienst antreten. Als er diesen absolviert hatte, stand für Ahmad fest, dass er sein Land verlassen musste. Freiwillig wäre er ohnehin nie Soldat geworden, betont er. "Und ich wusste, dass es mit dem Militärdienst nicht getan sein würde und ich in den Krieg hätte ziehen müssen."
Ahmad floh über die nahegelegene Grenze in die Türkei. Er hörte von dem Humanitären Aufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge (HAP) in Deutschland, bewarb sich und hatte Glück. "2014 rief die Deutsche Botschaft an, sie sagten, ich bekomme ein Visum. Ich habe vor Glück geweint." Ahmad flog von Istanbul nach Hannover, dann weiter mit dem Zug nach Goslar, so stand es auf dem Visum.
Nordsyrien bisher ohne Hilfe
Was dann folgte, ist eine Integrations- und Erfolgsgeschichte wie aus dem Bilderbuch. Dank engagierter Goslarer Bürger fasst Ahmad schnell Fuß in der Weltkulturerbe-Stadt im Harz. Er lernte Deutsch, bestand die deutsche Approbationsprüfung, arbeitet heute in seinem Traumberuf Apotheker.
Ahmad ist angekommen in seiner neuen Heimat. Und die steht auch jetzt an seiner Seite. Mit Goslarer Bürgern, Deutschen, Syrern und Türken, hat der Apotheker Spenden gesammelt, Geld, Decken, Verbandsmaterialien, Arzneimittel, warme Kleidung. Ahmad freut sich, dass die Herkunft der Menschen bei der Hilfsbereitschaft keine Rolle spielt. "Es geht einfach um Menschlichkeit", sagt er.
Die Spenden will er jetzt so schnell wie möglich auf den Weg in die Region Idlib bringen. Denn dort, in dem von Aufständischen kontrollierten Gebiet, seien bisher noch gar keine Rettungsteams und Hilfslieferungen angekommen. "Den Menschen in Nordsyrien hilft Damaskus ganz sicher nicht", sagt er, "für die Regierung sind das dort Terroristen."