Der DRK-Leiter für internationale Zusammenarbeit, Christof Johnen, sagte dem Evangelischen Pressedienst am Mittwoch, die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung merke seit geraumer Zeit an, "dass Sanktionsregime, wenn auch unbeabsichtigt und indirekt, einen nachteiligen Effekt auf die Lebensumstände von vielen Familien in betroffenen Ländern haben können". Obwohl viele humanitäre Hilfsaktionen ausgenommen seien, zögerten Banken und Zulieferer etwa bei Geldgeschäften oder Vertragsabschlüssen. Mit Blick auf die Hilfe in den Erdbebengebieten in Syrien wäre es hilfreich, wenn nun von den Staaten "schnell, konkret und umfassend aufgeklärt wird".
Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Protestbewegung (2011) hatten zahlreiche Länder Sanktionen gegen das syrische Regime unter Machthaber Baschar al-Assad verhängt. Die EU etwa untersagt unter anderem den Export von Technologien, die zur Repression oder der Überwachung der Telekommunikation verwendet werden können. Für humanitäre Hilfsgüter sind allerdings Ausnahmen vorgesehen. Auch die USA haben Sanktionen gegen Syrien verhängt.
Am Dienstag hatte der Syrische-Arabische Rote Halbmond mit Blick auf die Hilfe nach dem Erdbeben ein Ende der Wirtschaftssanktionen gefordert. Die Organisation gehört wie das Deutsche Rote Kreuz der weltweiten Rotkreuz- und Halbmondbewegung an. Der Generalsekretär des Norwegischen Flüchtlingsrates, Jan Egeland, hatte sich auf Twitter ebenfalls für eine Aufhebung von Sanktionen ausgesprochen, um Hilfe zu ermöglichen.
Schwere Erdbeben in der Türkei und Syrien hatten seit Montag eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Tausende Menschen starben, viele andere wurden verletzt oder werden vermisst. In Nordsyrien herrschte aufgrund des seit Jahren anhaltenden Bürgerkriegs bereits vor den Erdbeben großes Leid.
Berlin: Aktuell nötige Hilfsgüter nicht von Sanktionen betroffen
Aktuell in den syrischen Erdbebengebieten dringend benötigte Hilfsgüter fallen laut Auswärtigem Amt nicht unter die Sanktionen der EU gegen das Regime von Baschar al-Assad. Die Sanktionen richteten sich gezielt gegen das syrische Regime, gegen Profiteure der Kriegswirtschaft und gegen Personen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hätten, sagte eine Ministeriumssprecherin am Mittwoch in Berlin. Bei allen verhängten Sanktionspaketen sei immer berücksichtigt worden, dass "negative Folgen in irgendeiner Art für die Zivilbevölkerung nach Möglichkeit vermieden werden".
Das habe nach wie vor oberste Priorität. Die Sanktionen verbieten ihren Angaben nach daher nur die Einfuhr weniger, genau definierter Güter nach Syrien. Lebensmittel, Medikamente und schweres Gerät für Bergungsarbeiten "sind ausdrücklich ausgenommen". Die Sprecherin fügte hinzu, sie wolle davor warnen, "auf Narrative von Akteuren hereinzufallen", die versuchten, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Sie bezeichnete es als "zynisch", dass Russland sowie das Assad-Regime dieses Narrativ bedienten.
Vor Ort arbeitet Deutschland den Angaben nach mit einem Netzwerk von Partnern zusammen, die dort schon seit Jahren humanitäre Hilfe leisten. Die Finanzmittel würden dafür um weitere 26 Millionen Euro aufgestockt, sagte die Sprecherin. Eine Million gehe an die Organisation Malteser International, 25 Millionen Euro gingen an zwei Fonds, die vom Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung humanitärer Hilfe verwaltet würden. Partner Deutschlands vor Ort sei zudem die in Nordsyrien aktive Zivilschutzorganisation Weißhelme.
Straße zu humanitärem Grenzübergang nach Syrien beschädigt
Die Vereinten Nationen warnen unterdessen vor Engpässen bei der Versorgung der Überlebenden des Erdbebens in Nordwestsyrien. Durch die Beben in der Grenzregion Syriens und der Türkei sei die Straße zu dem einzigen Grenzübergang für humanitäre Hilfe zwischen den beiden Ländern beschädigt worden, so ein UN-Sprecher am Dienstag (Ortszeit) in New York. Hilfslieferungen für die Menschen im Nordwesten Syriens seien nur eingeschränkt möglich.
Die Menschen in den nicht vom syrischen Regime kontrollierten Gebieten im Nordwesten des Landes werden von den UN und internationalen Hilfsorganisationen über den an der Grenze zur Türkei gelegenen Übergang Bab al-Hawa versorgt. Grundlage ist eine Resolution des UN-Sicherheitsrates. Russland, ein enger Verbündeter Syriens, hatte immer wieder gegen eine Ausweitung des Mandats Stellung bezogen. In der Region waren bereits vor der Erdbeben 4,1 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen.
Derweil machte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf den Folgen der Katastrophe für die Flüchtlinge in der Region aufmerksam. Auf türkischer Seite seien Gebiete betroffen, in denen 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge lebten, teilte der Sprecher des UNHCR in Deutschland, Chris Melzer, mit. Auch in Syrien gehörten zu den Betroffenen Familien, die wegen der anhaltenden Krise in dem Land vertrieben wurden. Die genaue Zahl der Flüchtlinge sei noch nicht bekannt.
Melzer sprach von einem immensen Bedarf. "Die Betroffenen brauchen dringend Unterstützung." Gemeinsam mit Partnerorganisation verteile das UN-Flüchtlingshilfswerk in Syrien Hilfsgüter, darunter Wärmdecken. Insgesamt leben in Syrien nach Angaben des UNHCR-Sprechers 6,8 Millionen Binnenflüchtlinge.
Syrien will von EU-Staaten Hilfe annehmen
Am Mittwoch stellte nun auch Syrien einen Antrag auf Hilfe durch den EU-Katastrophenschutzmechanismus. "Heute Morgen haben wir eine Anfrage der syrischen Regierung erhalten", sagte der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic am Mittwoch in Brüssel. "Wir ermutigen die Mitgliedsstaaten, darauf einzugehen."
Nach den schweren Erdbeben hatte die türkische Regierung bereits am Montag den Katastrophenschutzmechanismus der EU aktiviert. Dieser organisiert die Zusammenarbeit der EU-Staaten und acht weiterer Länder, unter anderem der Türkei, im Bereich des Katastrophenschutzes und der humanitären Hilfe.
Der EU-Kommissar wies am Mittwoch zugleich Vorwürfe zurück, dass EU-Sanktionen gegen Syrien die humanitäre Hilfe beeinträchtigten. Die Sanktionen seien 2011 gegen das Regime erlassen worden, das seine eigene Bevölkerung brutal unterdrückt habe, auch mit chemischen Waffen. Die Sanktionen träfen das Regime und seine Unterstützer sowie einige Wirtschaftssektoren. "Unter den Sanktionen ist keine einzige, die humanitäre Hilfe behindern könnte", unterstrich Lenarcic.