Die Schreie einer psychotischen Patientin mischen sich mit dem Brüllen eines dementen älteren Herren. Am Empfang versperrt ein Mann mit einer massiv blutenden Wunde den Weg. Wie sich herausstellt, wollte er eine Bierflasche zertreten.
So beschreibt eine Pflegerin auf Twitter eine Nachtschicht in einer Zentralen Notaufnahme in ihrer Klinik. "Die Geräuschkulisse gleicht einem Flughafen", berichtet sie ihren rund 60.000 Followern. Doch sind die Zustände wirklich so dramatisch?
Der Evangelische Pressedienst (epd) sprach mit der Pflegerin Lara Engelmann (Name geändert), die seit ihrer Ausbildung im Jahr 2013 in der Notaufnahme arbeitet, derzeit neben ihrem Medizinstudium. Die 28-Jährige lebt und arbeitet in Norddeutschland. Den genauen Ort und ihren Namen möchte sie nicht nennen. "Je mehr ich über meinen Arbeitsplatz preisgebe, desto mehr gebe ich auch über meine Patienten preis", sagt sie.
Sie müsse sich als Pflegekraft in der Notaufnahme um viele fachfremde Aufgaben kümmern wie etwa den Transport der Patienten auf die Stationen. "In großen Häusern kann das ein echter Zeitfresser sein", sagt sie. Zentrale Notaufnahmen kümmern sich nicht nur um die Erstaufnahme, sondern klären auch den stationären Behandlungsbedarf ab. Dabei wird jeder Patient, der in die Notaufnahme kommt, einer Kategorie, meist einer Farbskala zugeordnet. "Rot heißt ‚muss jetzt sofort behandelt werden‘, grün oder blau bedeuten ‚kann warten‘", erklärt Engelmann.
Doch auch Patienten ohne akuten Behandlungsbedarf hätten oft einen hohen Leidensdruck. "Jemand, der zum Beispiel unter einem Parasitenbefall leidet, will die Parasiten sofort loswerden", sagt sie. Da aber keine Lebensgefahr bestehe, müsse er warten, bis das Personal Zeit hat. Manchmal stundenlang.
Engelmann klagt über mangelnde Wertschätzung durch den Arbeitgeber. "Man gibt sich im Dienst wahnsinnige Mühe, die Patienten gut zu versorgen. Wenn man das nicht schafft, bekommt man eine Standpauke." Engelmann empfindet die aktuellen Zustände als frustrierend und betont: "Es ist ein unglaublich schöner Beruf, wenn man ihn richtig ausüben kann."
Mangelnde Wertschätzung durch Arbeitgeber
Eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) im vergangenen Jahr ergab: Rund 18 Prozent aller stationären Betten waren bundesweit infolge des Personalmangels nicht belegbar. "Das führt zu einem regelrechten Stau in den Notaufnahmen, da keine Weiterbehandlung in den Kliniken möglich ist", sagt Harald Dormann, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme im Klinikum Fürth. Dieser Stau stellt laut Dormann die Hauptbelastung in den Zentralen Notaufnahmen dar.
Der Internist sagte dem epd: "In der Corona-Pandemie haben wir in den Zentralen Notaufnahmen mehr als doppelt so viele Infizierte behandelt wie alle anderen Klinikbereiche zusammen." Dass die Pflegekräfte in den Notaufnahmen von der Corona-Prämie ausgeschlossen sind und keine Sondervergütung erhalten, empört ihn. "Das unterstreicht noch einmal die Tatsache, dass die enorme Leistung der Zentrale Notaufnahmen von der Gesundheitspolitik völlig übersehen wird", sagt er.
Den Appell des Bundesgesundheitsministeriums an die Patientinnen und Patienten, den Hausarzt anstelle der Notaufnahme aufzusuchen, hält er für nicht zielführend. "Die meisten schätzen richtig ein, wann ein Besuch in der Notaufnahme sinnvoll ist", sagt er. Allerdings fehle es an zeitnahen Terminangeboten im ambulanten Bereich. Patienten nutzten die Notaufnahmen oft als letzten Rettungsanker.
Engelmann sagt: "Das Problem sind nicht die Patienten." Konkret entlasten würde es die Pflegekräfte, wenn sie mehr Kolleginnen und Kollegen hätten. Stattdessen kämen täglich Kündigungen ins Haus. Der Grund sei immer derselbe: "Man hält es nicht länger aus."