Der Raum ist mit Blumen, Kerzen und selbstgefertigten Bildern geschmückt, und ein großes Foto zeigt den verstorbenen Jungen: Rund hundert Schülerinnen und Schüler der Evangelischen IGS Wunstorf bei Hannover haben am Freitag mit einer Trauerandacht an ihren getöteten 14-jährigen Mitschüler erinnert. Der Jugendliche war wenige Tage zuvor mutmaßlich von einem gleichaltrigen Schüler derselben Schule gewaltsam ums Leben gebracht worden. "Es hat uns alle schockiert, dass so etwas in unserem Umfeld geschehen ist", sagten Finn Scheibe und Tim-Lukas Schubert von der Schülervertretung. "Vor allem sind wir getroffen, weil er noch sein ganzes Leben vor sich hatte."
Der Leichnam des getöteten Schülers war am Mittwoch nach einer groß angelegten Suche auf einem Brachgelände am Rande eines benachbarten Dorfes gefunden worden. Der Junge war am Abend zuvor nicht von einer Verabredung mit einem gleichaltrigen Bekannten zurückgekehrt und als vermisst gemeldet worden. Der Bekannte gab zu, den Jungen getötet und seinen Leichnam versteckt zu haben. Er sitzt inzwischen wegen dringenden Mordverdachts in Untersuchungshaft in der Jugendanstalt Hameln.
Zur Trauerandacht versammelte sich der gesamte achte Jahrgang der Ganztagsschule in evangelischer Trägerschaft. Anwesend waren auch Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) und Elternvertreter. Die Ansprache hielt der evangelische Landesbischof Ralf Meister aus Hannover. "Es verschlägt uns die Sprache. Wir finden kaum die richtigen Worte in diesen Tagen", sagte Meister. "Wir legen unsere Verzweiflung und unsere Ratlosigkeit zusammen." Der Landesbischof ergänzte: "Ich denke auch an die Familie desjenigen, der es getan hat. Niemand kann es verstehen."
Die beiden Jugendlichen besuchten eine achte Klasse an der Integrierten Gesamtschule. Beide sind deutsche Staatsbürger und deutschstämmig. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen "stumpfe Gewalteinwirkung" als Todesursache ausgemacht. Das gehe aus der Obduktion hervor, sagte Staatsanwaltschaft Can Türkay aus Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Staatsanwaltschaft gehe von einer vorsätzlichen Tat aus. Sie sieht Heimtücke als Mordmerkmal als gegeben an. Mord kann nach dem Jugendstrafrecht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet werden.
In den vergangenen Tagen waren an der Schule Seelsorger, Psychologen und Pädagogen vor Ort, um das Gespräch mit den insgesamt mehr als tausend Kindern und Jugendlichen zu suchen und sie zu trösten. Lehrkräfte ließen den Unterricht ausfallen und boten stattdessen Gespräche an. Während der zweitägigen Zeugnisferien in der nächsten Woche soll die Schule geöffnet bleiben, damit die Kinder und Jugendlichen weiter eine Anlaufstelle für ihre Sorgen und Ängste haben.
"Wir müssen damit umgehen, dass nicht nur das Opfer, sondern auch der mutmaßliche Täter Schüler unserer Schule ist", sagte Direktorin Elke Rothämel. Sie sei sehr beeindruckt, mit welch großer Sensibilität die Schülerinnen und Schüler ihre Trauer ausdrückten. "Und ich bin dankbar für die große Solidarität und die großen und kleinen Unterstützungsgesten, die wir als Schulgemeinschaft erfahren."
Die Oberlandeskirchenrätin und evangelische Schuldezernentin Kerstin Gäfgen-Track warnte davor, von dem tragischen Ereignis pauschal auf eine Verrohung der Jugend zu schließen. Sie habe die Jugendlichen der IGS als sehr sozial engagiert erlebt. So hätten sie sich für Geflüchtete aus der Ukraine eingesetzt. "Wir spüren alle, wie wichtig es ist, dass wir Rituale haben: Dass wir Kerzen anzünden, dass wir unsere Gedanken und Gefühle aufschreiben", sagte sie bei der Trauerandacht. "Nur zusammen kommen wir da durch."
Im Andachtsraum der Schule konnten die Kinder und Jugendlichen ihre Gedanken auf bereitliegenden Karten notieren. "Natürlich haben ihn manche besser gekannt als andere, und jeder geht mit diesem Verlust auf seine eigene Weise um", erklärten Finn Scheibe und Tim-Lukas Schubert von der Schülervertretung. "Wir wünschen wir der Familie in diesen Zeiten viel Kraft und viel Beistand."