"Baraye": Die Hymne der iranischen Revolution klingt durch die Kirche St. Albertus Magnus in Düsseldorf. "Für das Tanzen in den Straßen. Für die Angst, sich in der Öffentlichkeit zu küssen. Für meine Schwester, deine Schwester, unsere Schwestern." Die iranisch-deutsche Sängerin Schirin Partowi singt diese Zeilen des Liedes von Shervin Hajipour in der prall gefüllten Kirche.
Sie bringt damit den Protest, die Ängste und die Hoffnungen der Iranerinnen und Iraner, die seit September für Freiheit und Menschenrechte auf die Straßen gehen, auch emotional ganz nah an die über 200 Menschen heran, die in dem Gotteshaus sitzen und stehen.
Überwiegend sind es Mitglieder der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland, die zu der Solidaritätsaktion eingeladen hat. Die im Iran geborene Diplom-Pädagogin Shabnam Arzt von der Initiative "Frau. Leben. Freiheit. Solingen für den Iran" ruft in dem "politischen Nachtgebet" eindringlich zur Unterstützung der Protestierenden im Iran auf, die nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im September begonnen hatten. Das iranische Regime geht mit massiver Gewalt gegen die Protestierenden vor und vollstreckt auch Todesstrafen. "Bitte schweigen Sie nicht", sagt Arzt eindringlich.
Sie bittet die Abgeordneten aus den evangelischen Kirchenkreisen und Gemeinden zwischen Niederrhein und Saar, politischen Druck bei Abgeordneten von Landtag und Bundestag zu erzeugen, damit die islamischen Revolutionsgarden auf die Terrorliste gesetzt werden. Patenschaften über die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) könnten Hinrichtungen verhindern. Auch das Teilen von Informationen auf Social-Media-Plattformen könne helfen, ebenso wie Gespräche in Kirchengemeinden über das Unrecht im Iran: "Unterstützen Sie die iranische Revolution, damit die Angst der Frauen, der Männer, der Kinder ein Ende hat."
Synodenerklärung verlesen
Im Nachtgebet in der Kirche unweit des Tagungsorts der Synode wird ein kurz zuvor gefasster Beschluss des Kirchenparlaments verlesen, der dazu auffordert, die Anliegen der Proteste gegen das iranische Mullah-Regime zu unterstützen. Man verurteile das "himmelschreiende Unrecht und die schweren Menschenrechtsverletzungen" in dem Land am Persischen Golf, heißt es darin.
"Wir sind solidarisch mit dem Aufruf der Demonstrierenden im Iran: Frauen. Leben. Freiheit." Die Synode sei entsetzt, dass die Protestierenden gefoltert und hingerichtet würden. "Wir bewundern den Mut, sich der Gewalt mit dem eigenen Leben entgegenzustellen."
Leben in Angst
Die Pädagogin Arzt, die selbst als Jugendliche nach Deutschland kam, berichtet auch von ihren eigenen Erfahrungen mit der Angst vor den Revolutionsgarden aus ihrer Kindheit im Iran. Sie habe oft am Fenster auf ihren Vater gewartet, schon bei kleinen Verspätungen um ihn gebangt und gehofft, "dass er nicht verhaftet wurde und dass er heimkehrt". Mahsa Amini sei nicht mehr nach Hause gekommen, sagt Shabnam Arzt. "Ein junges Leben einfach so ausgelöscht."
Die junge Kurdin wurde im September von der sogenannten Sittenpolizei abgeführt, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht wie vorgeschrieben getragen haben soll. Danach starb sie an ihr zugefügten Verletzungen.
Auch von den Protesten gegen das Mullah-Regime, die seit Aminis Tod im ganzen Land stattfinden, kehrten zahlreiche Menschen nicht zurück, betont Arzt. Viele seien bereits getötet, zum Tode verurteilt, hingerichtet, gefoltert, misshandelt oder inhaftiert worden. "Die Iranerinnen sagen, es ist genug!", betont Arzt.
Befreiung und Entmachtung
Die rheinische Landessynode begrüßt in ihrer Solidaritätserklärung auch das Ansinnen des EU-Parlaments, dass die iranischen Revolutionsgarden auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt werden. Sie bete um "Befreiung für die Verfolgten, um die Entmachtung der Unterdrücker und um die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit", heißt es in dem Papier. Im Nachtgebet zünden die Vertreterinnen und Vertreter aus den rheinischen Gemeinden und Kirchenkreisen Kerzen für die Menschen an und senden ihnen Hoffnung und Kraft, "und sei es nur ein Hauch", wie Oberkirchenrätin Wibke Janssen sagt.
Die Menschen im Iran lebten schon jahrzehntelang in Angst, stellt Arzt fest. "Angst, etwas Falsches zu sagen. Angst, nicht regimekonform angezogen zu sein. Angst, dass ihre Liebsten abends nicht heimkehren werden." Sie selbst hoffe, dass all das bald ein Ende hat: "Ich träume davon, eines Tages mit meinen Cousinen in Teheran das persische Neujahrsfest zu feiern. In Freiheit! Bitte träumen, hoffen und beten Sie mit mir."