Jesus Christus liegt, ans Kreuz genagelt, auf dem Steinfußboden mitten im Raum. "Er muss trocknen", sagt der Kunstgutbeauftragte des Bistums Erfurt, Falko Bornschein. Das barocke Kruzifix habe bis vor kurzer Zeit an der Fassade der Erfurter Brunnenkirche gehangen. Die Witterung habe dem hölzernen Kunstwerk aus dem 18. Jahrhundert dabei arg zugesetzt. Daher sei er erst einmal ins Kunstgutdepot des Bistums Erfurt auf dem Domberg gebracht worden.
Bevor die Figur wieder an ihren angestammten Platz zurückkehren kann, müsse sie restauriert werden. Und vielleicht finde sich anschließend ja auch ein besser geeigneter Platz - in der Brunnenkirche oder in einem anderen Gotteshaus. Denn das Kunstgutdepot ist nicht nur Aufbewahrungsort für aktuell etwa 2.000 Kunstwerke des Bistums Erfurt, die in den Gemeinden draußen im Lande keinen Platz mehr finden oder deren Kirchen entwidmet wurden. "Wir sind auch eine Vermittlungsstelle, an die sich Gemeinden wenden können, wenn sie Ausstattungsgegenstände für ihre Kirche suchen", sagt Bornschein.
Im Angebot hat er sakrale Kunst aus fünf Jahrhunderten. Skulpturen, Gemälde, Kelche, Reliquienbehälter oder auch Monstranzen stehen hier dicht an dicht in großen Regalen und Vitrinen im Untergeschoss des Kreuzgangbereichs auf dem Domberg. Das Bistum sei in diesen Fällen nur der Vermittler. Verliehen oder geschenkt werde zwischen den einzelnen Kirchgemeinden. Denn auch wenn eine Gemeinde die Kostbarkeiten in Erfurt abgebe, bleibe sie doch Eigentümerin der Kunstwerke.
Bisweilen macht diese etwas bürokratische Handhabe auch dem studierten Kunstgeschichtler Bornschein die Arbeit nicht einfach. So seien schon Kunstwerke aussortiert worden, die das Bistum anschließend habe restaurieren lassen. Und als sich dann ein möglicher Abnehmer fand, sei die abgebende Gemeinde vom Resultat der Aufarbeitung so begeistert gewesen, dass sie die Kunst wiederhaben wollte.
Auch komme es gelegentlich vor, dass einzelne Pfarrer ein Kunstwerk nicht mögen und nach Erfurt übergeben. "Der nächste Pfarrer oder auch die Gemeinde sehen das anders und holen es wieder ab", sagt Bornschein. Aber am Ende sei ja positiv hervorzuheben, dass die Stücke wieder einen festen Platz in einer Kirche erhalten. Das sei immer der Optimalzustand.
Manchen Stücken wird dieses Schicksal wohl nicht mehr zuteilwerden. Bornschein holt eine hölzerne Monstranz aus einer Vitrine, eine einfache Tischlerarbeit. In ihr wurde während des Gottesdienstes die Hostie als Verkörperung des Leibs Christi gezeigt. Sie stammt aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Schön ist sie nicht, aber sie zeugt von der Not der Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg. "Das ist auch ein Stück Kirchengeschichte. Auch, wenn sie keiner mehr haben will. Wegwerfen sollten wir das nicht", sagt Bornschein.
Aus einem anderen Grund werden wohl auch die meisten Messgewänder Depothüter bleiben. Sie hängen hier in langen Reihen. Sie sind zum Teil so fragil, dass sie nicht mehr getragen werden können. Und für den Schrank in der Sakristei fehlt in vielen Kirchen die richtige Umgebungstemperatur. Das kleine Messgerät im Depot zeigt 16 Grad bei 58 Prozent Luftfeuchtigkeit an. "Manche sind weit über 100 Jahre alt und prächtig bestickt", sagt der Protestant in katholischen Diensten und streicht mit einer Hand vorsichtig über den Stoff eines Gewandes.
Ein vergleichbares Depot gibt es bei der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) nicht. Auch hier wird zwar Kunst gelagert - allerdings in weit geringerem Umfang. "Zu uns kommen Kunstwerke nur für kurze Zeit, etwa bevor sie restauriert werden oder für die Dauer von Sanierungsarbeiten in einer Kirche", sagt Susanne Sobko vom Landeskirchenamt in Erfurt. Zwar verliere auch die EKM Mitglieder. Doch anders als bei den mitteldeutschen Katholiken gefährde dieser Schwund nicht die Zahl der Kirchgemeinden. So bleibe die Zahl der Kirchen und damit der Platz für die sakrale Kunst in den Gemeinden im Wesentlichen erhalten.