Bestes Beispiel ist der Thriller "Ein einfacher Plan" (USA 1998) von Sam Raimi, in dem drei Männer in einem abgestürzten Sportflugzeug 4,4 Millionen Dollar entdecken. Die Gier der diversen Beteiligten führt schließlich zu einem Blutbad. So drastisch entwickelt sich "Canasta" natürlich nicht; aber die 19. Episode der zuverlässig sehenswerten und regelmäßig originellen Krimireihe "Nord bei Nordwest" bleibt auch ansonsten eine Menge schuldig.
Das Drehbuch stammt diesmal von Niels Holle, der den Reihenschöpfer Holger Karsten Schmidt schon mehrfach gut vertreten hat. Diesmal jedoch nicht: Dem Film fehlt inhaltlich, darstellerisch und handwerklich viel von dem, was den Krimis mit Hinnerk Schönemann bislang ein gewisses Alleinstellungsmerkmal beschert hat.
Dabei hat die Geschichte durchaus Potenzial: Zwei Männer bergen in der Ostsee einen Behälter, der einen Haufen in Plastik eingeschweißter Banknotenbündel enthält. Angesichts des Reichtums geraten sie prompt in Streit und versuchen, sich gegenseitig umzubringen. Am Ende gelingt einem der Ganoven zwar die Flucht, doch seine kurze Fahrt endet an einem Baum im Garten von Bestatter Töteberg (Stephan A. Tölle), der sich gerade mit zwei Frauen zum wöchentlichen Canasta-Abend getroffen hat.
Dem Unfallopfer ist nicht mehr zu helfen, aber den unverhofften Reichtum möchte Hildegard (Marion Kracht) gern behalten. Die beiden anderen sind weniger begeistert, obwohl sowohl das Bestattungsunternehmen wie auch der Hof der Dritten im Bunde, Annette (Katja Danowski), eine satte Finanzspritze gut gebrauchen könnte.
Natürlich fährt niemand einfach so sechs Millionen Euro spazieren. Tatsächlich handelt es sich um Lösegeld: Der Tote (Matthias Bundschuh) war ein Reisejournalist, wie Polizistin Hannah Wagner (Jana Klinge) rausfindet. Für eins seiner Bücher hat er eine schwerreiche Reederin auf ihren Touren begleitet. Vor 13 Jahren ist der Sohn der Frau entführt worden. Der Kidnapper, Erik Siering (Mirco Kreibich), konnte gefasst werden, das Lösegeld blieb verschwunden. Siering hat seine Strafe mittlerweile abgesessen, er ist der zweite Mann, und selbstredend will er sein Geld zurück.
Daraus hätte ein fesselnder Thriller werden können, doch Regisseur Felix Herzogenrath hat eine brave Krimikomödie draus gemacht. Auch das kann seinen Reiz haben, aber einige Mitwirkende schießen deutlich übers Ziel hinaus; wenn jemand Komödie mit Comedy verwechselt und Mund und Augen aufreißt, um einen möglichst großen komischen Effekt zu erzielen, lässt das die Inszenierung zwangsläufig plump erscheinen. Fans der Reihe werden zudem Hinnerk Schönemann vermissen. Der Hauptdarsteller spielt im Grunde bloß eine Nebenrolle, weil sich das Drehbuch auf das Kartentrio konzentriert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Streckenweise wirkt "Canasta" wie ein sogenanntes Spin-off, ein Film also, in dem eine beliebte Nebenfigur – in diesem Fall der Bestatter – zur Hauptfigur einer eigenen Geschichte wird. Tatsächlich schildert Holle anhand von Töteberg die typische Zwickmühle, in die alle geraten, die eine größere Geldsumme finden. Dass hingegen Hildegard keinerlei moralische Bedenken hat, machen Holle und Herzogenrath schon früh deutlich, als sie beim Kartenspiel schummelt.
Wirklich sehenswert sind allein die Szenen mit dem Kern-Ensemble, weil es wie stets kräftig zwischen Hauke Jacobs, dem Tierarzt mit Polizeimarke, und seiner Praxispartnerin Jule Christiansen (Marleen Lohse) knistert. Diesmal wären sie wieder fast so weit, sich endlich zu küssen, aber natürlich platzt Wagner dazwischen. Die sympathischen Zwischentöne dieser Momente stehen in erheblichem Kontrast zu den mitunter fast klamottig anmutenden Konfrontationen zwischen Hildegard und dem Verbrecher.
Auch ein gut sichtbarer Anschlussfehler passt ins Bild dieser nicht immer gelungenen Umsetzung. Womöglich ist Komödie einfach nicht Herzogenraths Ding. Seine Reihenkrimis, darunter zuletzt die "Wolfsland"-Episode "Das dreckige Dutzend" (2022), sind dagegen stets sehenswert; auch zu "Nord bei Nordwest" hat er bereits einige gute Folgen beigesteuert, unter anderem "In eigener Sache" (2020), jene Episode, in der Henny Reents ihren Abschied nahm.
In "Canasta" blitzt zudem nur selten jener schwarze Humor auf, der die Reihe auszeichnet, etwa, als Hildegards Mieter tot in seine Puddingcremeschnitten plumpst oder als die beiden Kartenspielerinnen den mittlerweile ebenfalls toten Entführer als zweite Leiche in einen fürs Krematorium bestimmten Sarg quetschen.