Reisende mit Rollkoffern und schwerem Gepäck strömen aus dem Berliner Hauptbahnhof auf eine Reihe von Taxis zu. Das Licht der Straßenlampen am Europaplatz spiegelt sich in den Pfützen wider. Es ist Heiligabend. Danielo Baltrusch verzichtet heute auf Festessen mit der Familie, Bescherung und Weihnachtsfilme - stattdessen sitzt er am Taxisteuer. "Weihnachten ist Reisezeit in der Hauptstadt. Die Berliner besuchen ihre Verwandten in der Heimat und andere kommen nach Berlin", sagt der selbständige Taxifahrer. Der 58-Jährige hofft auf ein gutes Geschäft.
18 Uhr. Das erste Pärchen steigt ein. Die beiden Amerikaner hatten eine weite Anreise, von Los Angeles mit dem Flugzeug nach München und dann weiter mit dem Zug nach Berlin. Sie wollen in ein Hotel in der Axel-Springer-Straße. Die Frau arbeitet für eine amerikanische Firma, die auch einen Sitz in Berlin hat. "Wir wollen erst Weihnachten feiern. Ab dem zweiten Weihnachtsfeiertag muss ich arbeiten", sagt die 35-Jährige.
Baltrusch kam zufällig zum Beruf des Taxifahrers. "Ich wurde arbeitslos. Das Taxifahren war eigentlich nur als Überbrückung gedacht", erinnert sich der gelernte Dachdecker. Doch der gebürtige Ost-Berliner fand daran Gefallen. Seit 24 Jahren ist er auf den Straßen der Hauptstadt unterwegs. Was er am Taxifahren besonders mag? "Die Freiheit", sagt er, "Ich konnte meine Kinder immer spontan von der Schule abholen, wenn sie krank waren."
Er erinnert sich an eine skurrile Situation. Im Jahr 2010 hatte ihn ein Fahrgast an den Flughafen Tegel bestellt. Es war der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Nur wenige Wochen später war Scharping zufällig wieder Fahrgast bei Baltrusch. "Ich habe mich umgedreht und gesagt: Ach, Sie schon wieder", sagt Baltrusch und lacht.
Am Bahnhof Südkreuz steigen zwei Frauen und ein Mann ein. Sie sind Kollegen und arbeiten für die Deutsche Bahn. Eine reicht Baltrusch einen Gutschein und nennt den Namen ihres Hotels. "Mit Gutscheinen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht", sagt Baltrusch später. Auf seiner App leuchtet eine Vorbestellung zu einem Lokal für 20:30 Uhr auf. "Manche Taxifahrer haben Angst vor Kneipen", sagt Baltrusch. Alkoholisierte pöbelten die Fahrer oft an. Heute gebe es kaum noch Betrunkene. "Vor 20 Jahren war das anders."
Bedrohung durch Uber
Holger Pätzeldt kennt die Herausforderungen, vor denen das Taxigewerbe steht. Der 71-Jährige war in den 90er Jahren Präsident des Taxiverbands Berlin. App-basierte Mietwagenunternehmen wie Uber und Bolt hätten seiner Meinung nach ein Ziel: "Sie wollen uns verdrängen." Berlin hat die größte Taxizentrale Europas. Einst waren es über 8.000 Fahrzeuge. Heute sind es laut Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) nur noch knapp über 5.400. "Viele haben aufgegeben", sagt er. Baltrusch bestätigt: "Ich fühle mich bedroht durch Uber." Er habe jedoch die Hoffnung, dass das Taxigewerbe seinen Platz verteidigen werde. "Wir haben unsere Berechtigung."
Um als Taxifahrer arbeiten zu dürfen, benötigt es einen Personenbeförderungsschein. Voraussetzung dafür sind ein polizeiliches Führungs- und ein Gesundheitszeugnis. Bis vor eineinhalb Jahren war zudem eine Ortskundeprüfung nötig. Im August 2021 wurde diese gestrichen. Pätzeldt sieht die Abschaffung kritisch. "Ein guter Taxifahrer sollte sich in seinem Gebiet auskennen und nicht nur nach Navi fahren." Er selbst kennt die Hauptstadt wie seine eigene Jackentasche. Seit 47 Jahren fährt er Menschen in Berlin von A nach B. Es sei ein schöner Beruf, sagt er. "Ich bin neugierig auf die Leute und die Geschichten. Manchmal ist man auch ein wenig Sozialarbeiter und Psychologe", sagt Pätzeldt und lacht.
Baltrusch hört viel Musik, wenn er allein fährt. "Ich schalte das Radio immer erst aus, wenn das aktuelle Lied zu Ende ist." Manchmal bleibe er dafür auch noch einen Augenblick länger im Auto sitzen. Erst dann steigt er aus und geht in den Feierabend. Seine Schicht endet um 21 Uhr mit einer Bilanz von 62,30 €.
Um diese Zeit beginnt Axel Rühle seine Schicht in Tempelhof mit dem Großraumtaxi. "Jetzt haben die meisten bei ihren Familien gegessen", sagt der 54-Jährige. Für ihn ist die Weihnachtsnacht immer etwas Besonderes. "Die Stimmung ist jedes Jahr wundervoll. Alle sind gut gelaunt und der Vorweihnachtsstress ist von ihnen abgefallen", sagt der Taxifahrer. Der studierte Stadtplaner fährt nur noch gelegentlich Taxi. Er arbeitet halbtags als Redakteur bei der "Taxi Times", einem Fachmagazin für die Taxibranche.
Eine sechsköpfige Familie mit zwei Kindern und Hund steigt ein. Sie waren gerade bei Verwandten essen und wollen nun nach Hause. "Alle an Bord?", ruft Rühle über seine Schulter und lacht. Es ist seine erste Fahrt in dieser nicht so stillen Weihnachtsnacht.