Martha Nussbaum, Ethikphilosophin aus den USA, geht davon aus, dass man Gefühlen in politischen Debatten und Auseinandersetzungen einen Platz geben sollte, um sie bearbeiten zu können. Sie stellt die These auf, dass insbesondere Angst an der Demokratie sägt. Beim Lesen ihrer Zeilen kam mir unweigerlich mein Taufspruch in den Sinn: "Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein." (Jesaja 43,1).
Wie soll das klappen, fragte ich mich? Wir haben gerade gefühlte Ewigkeiten mit Corona erlebt – und es scheint noch lange nicht vorbei zu sein. Die Angst um unsere Eltern oder Freunde ist zum Alltag geworden. Seit dem 24. Februar 2022 tobt ein unnötiger Krieg in der Ukraine, der eine Fülle von Unsicherheiten und Ängsten schürt. Er reiht sich ein in etliche Kriege weltweit, die in den letzten Jahren aufgeflammt sind, z. B. in Äthiopien/Eritrea, Syrien, in der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen Republik Kongo, um nur einige zu nennen. Flucht und Migration sind präsenter denn je. Dieses Jahr wurde die 100 Millionen-Marke Geflüchteter und Binnenvertriebener überschritten. Angst ist dabei vermutlich DAS Gefühl, das die vorhandenen Instabilitäten besonders prägt.
Angst hat evolutionsgeschichtlich eine Schutzfunktion. Sie hilft uns, Bedrohungen wahrzunehmen und angemessen zu reagieren. Schwierig wird es, wenn wir unsere Gefühle nicht ausdrücken dürfen und in Selbstfürsorge überführen können. Dann neigen wir dazu, unsere sozialen Fühler einzuziehen. Wir ziehen uns zurück. Oder wir folgen blind denen, die uns vermeintlichen Schutz versprechen. Wir geben falschen Autoritäten Macht. Autokraten wie Donald Trump oder Wladimir Putin bekommen ebenso einen Fanclub wie Corona-Leugner*innen oder Anti-Semit*innen. Wir werden anfällig für eine Projektion unserer Ängste auf Gruppen oder Szenarien, die als Sündenböcke herhalten müssen.
Keine Furcht vor Veränderung
Fürchte dich nicht – mein göttliches Versprechen, wie kommt das nun ins Spiel? Hier klingt die Zusage an, gesehen zu werden – also dazuzugehören, einen Namen zu haben und nicht ausgeliefert zu sein. Die Aufforderung, sich nicht zu fürchten, begleitet in der Bibel den Aufbruch ins Ungewisse. Sie wird an Menschen adressiert, die vor besonderen Herausforderungen stehen und diese als Überforderung erleben.
Die Schaffung von Handlungsspielräumen hält die promovierte Soziologin Mirjam Laaser für eines der zentralen Anliegen unserer Zeit. Sie ist Leiterin der Abteilung internationale kirchliche Zusammenarbeit im Evangelisch-lutherischen Missionswerk in Niedersachsen (ELM) und Mitglied des Vorstands.
Was bedeutet Mission heute? Das ist nicht leicht zu beantworten. Doch mission.de will genau das. Hier kommen Menschen zu Wort, die weltweit in Mission und Ökumene vernetzt und zuhause sind und etwas zu sagen haben. Ein Blog gibt Raum für pointierte Meinungen, aktuelle Themen und Beiträge zu laufenden Diskursen. mission.de ist eine Initiative evangelischer Missionswerke, Verbände und Kirchen unter dem Dach der Evangelischen Mission Weltweit (EMW).
Die Evangelische Mission Weltweit (EMW) ist eine Gemeinschaft von evangelischen Kirchen, Werken und Verbänden in Mission und Ökumene. Missionstheologie, theologische Ausbildung weltweit, Schöpfung und Nachhaltigkeit, Dialog der Religion, interkulturelle und kontextuelle Theologien sowie Frieden und Gerechtigkeit gehören zu den Themen der Dach- und Fachorganisation.
Mit einem "Fürchte dich nicht" im Ohr und im Herzen muss ich mich weder von Angst lähmen lassen noch meine Deutungshoheit abgeben, sondern kann selbst Verantwortung übernehmen. Wir können eine gesunde Gruppenkultur entwickeln, die Vernetzung, Teamarbeit und Kohärenz fördert, indem wir uns auf grundlegende Konzepte konzentrieren: Sicherheit schaffen (kein Hunger, Geschlechtergerechtigkeit, Unversehrtheit etc.), aus Fehlern lernen (Feedbackkultur, Transparenz etc.) und Sinn stiften (Werteorientierung, Aushalten, dass Meinungen verschieden sind etc.).
Und ich bin überzeugt, dass wir so eine Haltung dringend brauchen, wenn wir Handlungsspielräume schaffen wollen und die Herausforderungen in den Blick nehmen, die der Lutherische Weltbund als die sieben Megatrends der kommenden Zeiten beschreibt: Die Folgen von Covid-19 für Kirche und Gesellschaft zeichnen sich jetzt schon ab. Wir werden sie nur als Weltgemeinschaft gemeinsam bewältigen können – ebenso wie den Klimawandel. Tiefverwurzelter und neu aufkommender Rassismus und die wachsende ökonomische Ungerechtigkeit laufen Gefahr, zum dominanten Lebensgefühl zu werden.
Hier sind wir alle gefragt, den Feind*innen der Demokratie entgegen zu treten und den autoritären Regimen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn ihren Schutz brauchen wir nicht. Wir brauchen einen offenen und ehrlichen Diskurs, der es allen Menschen möglich macht, ihre Ängste und Bedürfnisse zu äußern. Das beinhaltet, dass ich auch lernen muss, die enormen Spannungen im interkulturellen und interreligiösen Kontext auszuhalten.
"Fürchte dich nicht"… mein Taufspruch inspiriert mich, an einer Welt zu bauen, in der wir ohne Angst verschieden sein können.
evangelisch.de dankt mission.de und der Evangelischen Mission Weltweit für die inhaltliche Kooperation.