Wie so etwas trotzdem funktionieren kann, beweisen die "Wolfsland"-Schöpfer Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser sowie Regisseur Cüneyt Kaya, der mit "20 Stunden" seinen ersten Film für die Reihe gedreht hat, mit dieser elften Episode.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die eigentliche Handlung beginnt heiter: Das Görlitzer Kripo-Duo "Butsch" Schulz und "Kessie" Delbrück (Götz Schubert, Yvonne Catterfeld) wuchtet an einem Sonntag ein Sofa in die neue Wohnung des Kommissars und tauscht dabei allerlei Sprüche aus. Im Treppenhaus begegnen die beiden dem Vermieter, der sich freut, dass nun ein Polizist im Haus wohnt, denn offenbar geht hier etwas vor sich, das ihm große Sorgen bereitet. Er nimmt sein Geheimnis jedoch zunächst mit ins Grab, denn unmittelbar drauf wird er erstochen. Schulz und Delbrück hören Schreie und eilen ein Stockwerk höher, doch die Kamera bleibt in der Wohnung des Kommissars: Der Mörder ist über den Balkon des Opfers ins Wohnzimmer von Schulz geflüchtet. Da der Täter das Haus nicht verlassen hat, muss es sich um einen der Bewohner handeln.
Bis hierher ist "20 Stunden" ein ganz normaler TV-Krimi, kurzweilig zwar und auch recht witzig, weil in dem Haus allerlei skurrile Menschen leben, aber nicht weiter aufregend. Wäre da nicht der Auftakt. Der Prolog ist Thriller pur, mit donnernder Action-Musik (Andreas Weidinger), Viola Delbrück als Geisel und einer Bombe. Der Kontrast zur Rückblende sorgt für eine interessante Dissonanz, und diesem reizvollen Gegensatz bleiben Buch und Regie fortan treu.
Die Kommissarin bekommt den Tipp, sich mal im Keller umzuschauen und stößt dort auf ein Waffenlager. Es gehört Gunnar Wendt (Lasse Myhr), der die Polizistin überwältigt, sodass mit dem zweiten Akt bereits das Finale startet: Wendt, eine völlig verkrachte Existenz voller Hass auf die Gesellschaft, ist ein Untergangsfanatiker, der sich für den Tag der Abrechnung mit Pistolen, Handgranaten und Sprengstoff eingedeckt hat. Schulz hat derweil Stefan Gröba (Paul Wollin) verhaftet, einen weiteren Mieter, der sich verdächtig gemacht hat; damit ist der Fall für Kommissariatsleiter Grimm (Stephan Grossmann) geklärt.
Was zunächst wie ein überflüssiger Handlungsappendix wirkt, wird sich später zur Tragödie entwickeln, womit "20 Stunden" eine weitere Farbe erhält. Dennoch bleibt Wendt die zentrale Figur, zumal ihm auch noch Schulz und Staatsanwältin Konzak (Christina Große) in die Hände fallen. Wendt lässt die beiden gefesselt zurück und beginnt mit Delbrück eine Irrfahrt, die schließlich zu einer bizarren Szene im Stadtzentrum führt, als das Auto plötzlich von jugendlichen Fans umringt wird.
Kaya ("Asphaltgorillas"), der für die ARD-Tochter Degeto nach seinem Kinofilm "Ummah – Unter Freunden" auch das Donnerstagskrimi-Einzelstück "Dimitrios Schulze" gedreht hat, orientiert sich in diesem Moment unübersehbar an den Bildern jenes Ereignisses, das als Geiselnahme von Gladbeck (1988) eins der dunkelsten Kapitel der bundesdeutschen Mediengeschichte darstellt; damals hat der Verbrecher Hans-Jürgen Rösner in der Kölner Fußgänger eine Pressekonferenz gegeben.
Das ist selbstverständlich nicht komisch, aber grotesk und passt daher zum Tonfall der Ebene mit Schulz und Konzak: Wendt hat sie mit Handschellen ans Klo fixiert, weshalb sie kurzerhand die Schüssel aus der Wand reißen. Die Fessel aber bleibt, weshalb es, als die beiden Wendts Eltern aufsuchen, zu einem denkwürdigen Dialog kommt: "Wir sind von der Polizei", begrüßt die Staatsanwältin das Ehepaar. "Ich bin von der Polizei", korrigiert Schulz, "sie hängt nur an mir."
Tatsächlich inszeniert Kaya die Szenen mit dem unfreiwilligen Gespann stellenweise wie eine Komödie, ohne dabei die Sorge um das Leben Delbrücks zu nivellieren. Für ein weiteres heiteres Element sorgt die Mutter der Kommissarin. Mit dieser von Petra Zieser verkörperten neuen Figur kommt zusätzliches Leben in die Geschichte, denn Rose Delbrück lässt sich als ehemalige Richterin von den Beschwichtigungen Grimms nicht beeindrucken.
Der wiederum wird zur tragischen Figur der Geschichte, denn da ist ja noch die Nebenebene mit dem zu Unrecht beschuldigten Mieter, und das bleibt nicht die letzte unerwartete Wendung des bildgestalterisch vorzüglich umgesetzten Drehbuchs (Kamera: Christoph Chassée): Der Film endet mit einem überraschenden Finale, als alle Beteiligten in der vermeintlichen Sicherheit des Präsidiums in Lebensgefahr schweben.