Vor gut fünfzig Jahren schockierte Esther Vilar die damals aufkeimende Frauenbewegung mit der Behauptung, nicht die Ehefrauen, sondern ihre Männer seien die wahrhaft unterdrückten Wesen: weil sie tagein, tagaus die Familie versorgen müssten, während sich die Gattinnen daheim ein schönes Leben machten. Fünf Jahrzehnte später ist die Beschreibung aus Vilars Buch "Der dressierte Mann" Wirklichkeit geworden: Jetzt wird von den Männern erwartet, dass sie auch noch den Haushalt übernehmen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das ist zumindest die These von Philipp Vandamm, einem Männerversteher, der mit seinen Auftritten ganze Stadien füllt. Wer sich mit Hilfe seiner Seminare emanzipieren und ein echter Mann werden will, der zu seiner Frau auch mal "Nein" sagt, muss sich das eine fünfstellige Summe kosten lassen.
Die achtzehnte "Nord Nord Mord"-Episode hätte auch "Sievers und der nackte Mann" heißen können, denn das ist der Titel von Vandamms neuem Programm; oder "Sievers und der dressierte Mann", denn Kommissar Feldmann (Oliver Wnuk) erkennt sich in dem von Vandamm entworfenen Szenario des abgedankten Herrn der Schöpfung umgehend wieder, schließlich erwartet die Kollegin und Mitbewohnerin Ina Behrendsen (Julia Brendler) wie selbstverständlich, dass er die Spülmaschine nicht nur ausräumt, sondern auch repariert. Kein Wunder, dass sich der Vorgesetzte der beiden, Karl Sievers (Peter Heinrich Brix), mitunter wie im Kindergarten fühlt.
Für den heiteren Hintergrund von "Sievers sieht Gespenster" ist also schon mal gesorgt, und wer wäre eine bessere Wahl für die Verkörperung des Männlichkeits-Gurus als Henning Baum, einer der letzten echten Kerle im deutschen Fernsehen. Zum Krimi wird die Konstellation, als eine junge Frau tot in einem Koffer an den Sylter Strand gespült wird. Sie ist ertrunken, allerdings nicht im Meer, wie die Obduktion ergibt, sondern wohl in einer Badewanne; eine Beule am Hinterkopf deutet auf einen Unfall hin. Aber warum ist die Leiche im Meer entsorgt worden?
Rechtsmedizinerin Karp (Anne Weber) erinnert sich an ein ganz ähnliches Ereignis, das sich vor drei Jahren in Stuttgart zugetragen hat. Alles passt: junge Frau, Badewanne, ausgerutscht, ertrunken. Weil die Wanne Vandamm gehörte, der damals angeblich geschlafen hatte, ist der Männerflüsterer automatisch verdächtig, denn wie es der Zufall will, arbeitet er nach einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Steuerhintererziehung an seinem Comeback; und zwar auf Sylt.
Die tote Frau entpuppt sich als Escortdame mit dem Künstlernamen Madeleine, und Vandamm leugnet auch gar nicht, dass sie ihm zu Diensten war, versichert jedoch, sein Assistent (Sascha Weingarten) habe sie in der Nacht in ihr Hotel gebracht, was der Portier bestätigt.
Der Episodentitel bezieht sich auf Anwandlungen von Kripochef Sievers, der das Gefühl nicht los wird, die tote Madeleine versuche, aus dem Jenseits Einfluss auf ihn zu nehmen; und das nicht nur, weil er Stimmen hört. Plötzlich taucht wie aus dem Nichts ihr Lieblingsbuch mit Erzählungen von Tania Blixen auf. Die Escortdame, deren wahre Identität bis zum Schluss ein Rätsel bleibt, ist ohnehin eine faszinierende Figur: Ihre Adresse entpuppt sich als Friedhof. Dort findet sich tatsächlich eine allerdings schon vor Jahren verstorbene Madeleine, die bis zu ihrem Tod ein Kinderheim geleitet hat.
Dieser Teil der Handlung beschert dem Drehbuch von "Nord Nord Mord"-Stammautor Thomas O. Walendy eine weitere interessante Ebene und führt schließlich indirekt zur Lösung des Falls. Angesichts der Sorgfalt im Detail – unter anderem spielt die Nagellackfarbe grün eine wichtige Rolle – ist es gewiss kein Zufall, dass Walendy die Lösung schon früh mit dem versteckten Hinweis auf einen Hitchcock-Klassiker andeutet.
Regie führte Ole Zapatka, der mit "Sievers sieht Gespenster" nach mehreren Episoden für verschiedene ZDF-Krimiserien seinen ersten Fernsehfilm inszeniert und gemeinsam mit Kameramann Martin Neumeyer dafür gesorgt hat, dass die Bildgestaltung der Qualität des Drehbuchs gerecht wird.
Das zentrale Trio ist ohnehin wie stets ein Vergnügen, zumal sich Peter Heinrich Brix jedes Mal aufs Neue als perfekte Besetzung für die Rolle des stoischen Chefs erweist, dem ein wortloser Seitenblick genügt, um den wichtigtuerischen Schlaumeier Feldmann zum Schweigen zu bringen. Nicht minder sehenswert ist das kaum bekannte ergänzende Ensemble: Steffen C. Jürgens als Barkeeper mit Vorliebe für Konjunktive, Sidney Gersina als Hotelmanagerin, Tatiana Nekrasov als Leiter der Escortagentur und Marek Erhardt als Vandamm-Jünger, der Feldmann zu einem dienstlichen Besäufnis nötigt.