Seit über einem halben Jahr verrichtet Berthold Keunecke bei Wind und Wetter seinen Dienst in der Emmausgemeinde in der Herforder Nordstadt mit bloßen Füßen. Die Reaktionen seien überwiegend positiv, sagte Keunecke dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Dass wir da umkehren müssen - ein heutiges Wort für die alte Bezeichnung 'Buße tun', - leuchtet vielen ein."
Drei Fragen des Evangelischen Pressedienstes an den Herforder Pfarrer:
Pfarrer Keunecke, seit Mai bewegen Sie sich größtenteils barfuß in Ihrer Gemeinde und privat fort, um für Frieden in der Ukraine zu werben. Auf welche Vorbilder berufen Sie sich bei der Aktion?
Keunecke: Wenn ich Gemeindegliedern den Aspekt der Buße erklären möchte, erinnere ich oft an den berühmten Gang nach Canossa, den Kaiser Heinrich barfuß zurücklegen musste. Dieser kriegerische Kaiser kann aber nicht mein Vorbild sein - viel eher der Heilige Franziskus in der Geschichte vom "Wolf von Gubbio". In der tritt Franziskus als Schlichter auf, indem er den Wolf, der die Menschen von Gubbio terrorisierte, mit eben denen versöhnte. Der Wolf musste versprechen, auf Angriffe und auf Raub zu verzichten, dafür versorgten ihn die Leute von Gubbio seitdem. Franziskus hat dies Versöhnungswunder in der ärmlichen Kleidung des Bettelmönches und barfuß vollbracht, also ohne irgendwelche Zeichen von weltlicher Macht. Ich glaube, dass der bewusste und gezielte Verzicht auf Machtmittel ein wichtiger Schritt hin zur Deeskalation von Konflikten sein kann.
"Verzicht auf Machtmittel kann ein wichtiger Schritt hin zur Deeskalation von Konflikten sein."
Wie sind bisher die Reaktionen in der Gemeinde und in Ihrem täglichen Umfeld?
Keunecke: In der Gemeinde und in meiner Bekanntschaft wird das Zeichen von vielen verstanden. Ich erlebe viel Zustimmung und Respekt. Die wachsende Brutalität des Ukraine-Krieges und die Ausweglosigkeit der weiteren Eskalation treibt auch viele andere Menschen um. Dass wir da umkehren müssen - ein heutiges Wort für die alte Bezeichnung "Buße tun", - leuchtet vielen ein.
Die Meinung, dass eine Umkehr nur von dem gewalttätigen Präsidenten Putin zu erwarten sei, wird meiner Wahrnehmung nach von gar nicht so vielen Leuten vertreten, wie es sonst so scheint. Die deutliche Ansage des Apostels Paulus im Römerbrief, dass das Böse nicht mit Bösem, sondern mit Gutem bekämpft werden muss, kommt bei den kleinen Leuten wohl besser an als in der politischen Klasse.
Der russische Präsident Wladimir Putin scheint entschlossen, trotz Geländegewinnen der ukrainischen Armee den Angriffskrieg weiterzuführen und den anstehenden Winter als Kriegswaffe zu nutzen. Eine baldige Friedenslösung erscheint illusorisch. Wie bereiten Sie sich auf die kalte Jahreszeit vor - oder setzen Sie sich eine Frist, wann Sie die Barfuß-Buße beenden wollen?
Keunecke: Ich traue dem machtbesessenen Präsidenten Putin nicht zu, in einer Situation der Schwäche nachgeben zu können. Deshalb wird ein Frieden für die Ukraine nicht ohne Zugeständnisse der westlichen Seite möglich sein, was zugegebenermaßen zurzeit auch in weiter Ferne liegt. Dabei will ich nicht riskieren, krank zu werden oder bleibende Schäden an meinen Füßen davonzutragen. Deshalb werde ich, wenn es nötig ist, eben doch auch Schuhe anziehen. Ich will aber diese sich zum Protest wandelnde Bußübung, wenn irgend möglich, so lange fortsetzen, bis die Eskalationsspirale im Ukraine-Krieg durch Deeskalationsschritte umgedreht werden kann, bis konkrete Friedensverhandlungen möglich werden. Ich kann es einfach nicht tatenlos mit ansehen, dass die Konfliktdynamik dieses Krieges zu immer mehr Leid führt, zu immer mehr Hass und Brutalität und am Ende zum Einsatz der Atombombe.