Als "öffentlichste deutsche Feministin seit 30 Jahren" hat sie sich 2009 einmal selbst beschrieben: Die Publizistin Alice Schwarzer wird am 3. Dezember 80 Jahre alt. Tatsächlich hat die Öffentlichkeitswirksamkeit von vornherein zu ihrem Einsatz für die Frauenbewegung gehört: 1971 initiierte sie den "Stern"-Artikel "Ich habe abgetrieben", in dem sich mehr als 300 Frauen zu einer Abtreibung bekannten und der der Beginn einer Kampagne gegen den Paragrafen 218 wurde.
Berühmt - manche sagen: berüchtigt - wurde sie mit ihrem Buch "Der 'kleine Unterschied' und seine großen Folgen" (1975) über weibliche Sexualität und das Machtverhältnis der Geschlechter. 1977 gründete sie die feministische Zeitschrift "Emma" (wie "Emanzipation"), die seit Jahrzehnten ein stabiles Nischendasein in der deutschen Verlagslandschaft führt. Ihre Klage gegen den "Stern" wegen sexistischer Darstellung von Frauen, Schwarzers Streiten gegen Pornografie und Prostitution, die Initiative für das feministische Archiv FrauenMediaTurm in Köln - all das und noch viel mehr machte sie zur bekanntesten Protagonistin der deutschen Frauenbewegung.
Geboren 1942 in Wuppertal als Kind einer ledigen Mutter wuchs sie beim Großvater und der politisch interessierten, aber in den "Hausfrauenpflichten" gebundenen Großmutter auf. In Paris, so beschreibt es Schwarzer in ihrer Autobiografie "Lebenslauf", erschließt sich ihr die Welt. Sie verbringt als junge Frau mehrere Jahre dort, arbeitet als Au-pair, studiert, schreibt. Trifft den Philosophiestudenten Bruno, für zehn Jahre ihr Lebensgefährte, arbeitet für die bundesrepublikanische Tagespresse und das Satiremagazin "Pardon". Und eckt an, nicht nur bei den "Herren Redakteuren".
In Paris lernt sie auch Simone de Beauvoir kennen. Mit ihr im intellektuellen Gepäck, mit feministischen Erkenntnissen, die zum Teil freilich schon von Ende der 40er Jahre stammen und die Emanzipationsdefizite und rechtliche Abhängigkeit der Frauen in Westdeutschland noch in den 70ern vor allem auf die Sexualität zurückführen, beginnt Schwarzer ihr Engagement an der Schnittstelle zwischen Aktivismus und Journalismus.
Vorbilder findet sie in der französischen Presse, beispielsweise im "Nouvel Observateur", von dem die Kampagne "Wir haben abgetrieben" eigentlich stammt, und in der französischen Frauenbewegung. Maximale Aufmerksamkeitserzeugung ist dabei eines ihrer Wirkungs- und Erfolgsrezepte. Laut sein wie - manche - Männer, kampfeslustig sein, nicht entschuldigen, nicht verteidigen - das funktioniert noch in den 80ern, als Alice Schwarzer ihren publizistischen und Lebensmittelpunkt längst nach Köln verlegt hat. Für ihr Engagement wurde sie unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Ludwig-Börne-Preis ausgezeichnet sowie als Ritter der französischen Ehrenlegion.
Nach und nach, so zeigen zahlreiche, auf Youtube noch zugängliche Talkshowauftritte, wird aus der "Streitbaren" auch die "Dogmatische" mit zuweilen autoritärem Gestus. Und sie wird zur "Medienpersönlichkeit". Legendär sind einige Fernsehauftritte, beispielsweise 2001 die Diskussion von Verona Pooth, damals Feldbusch, bei Johannes B. Kerner, Feldbusch kontert Schwarzers Vorwürfe bezüglich ihres Aussehens mit großem Selbstbewusstsein und Argumenten.
Im Alter immer dogmatischer mit autoritärem Gestus
Im Jahr 2014 wurde Schwarzer wegen Steuerhinterziehung öffentlich kritisiert. Selbst machte sie öffentlich, dass sie in Verbindung mit einer Selbstanzeige im Jahr 2013 Steuern in Höhe von 200.000 Euro nachgezahlt habe, die auf Zinserträge für ein Schweizer Konto angefallen waren. Das Konto hatte sie seit den 80er Jahren geführt. Das Steuerverfahren endete 2016 mit einem Strafbefehl des Amtsgerichts Köln gegen Schwarzer.
Von vielen jüngeren Feministinnen wird Alice Schwarzer, die mit der Fotografin Bettina Flitner verheiratet ist, mittlerweile kritisch gesehen, wenn sie überhaupt eine Rolle spielt. Die Autorin und Moderatorin Sophie Passmann ("Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch") spricht ihr in der ARD-Fernsehdokumentation "Die Streitbare" von Tita von Hardenberg zwar den Status einer "historischen Ikone" zu, sieht aber auch viel Intoleranz in Schwarzers "Ego-Feminismus".
Für die Aktivistin und Autorin Emilia Roig ("Why we matter. Das Ende der Unterdrückung") fällt das Urteil noch eindeutiger aus: Schwarzer stehe für neue Unterdrückung, vor allem muslimischer Frauen. Ihre Kritikerinnen und Kritiker werfen Schwarzer Nähe zur "Bild"-Zeitung vor, ihre falsche Vorverurteilung im Fall Kachelmann, ihre Positionierung gegen das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung, ihre Ablehnung der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, die sie zuletzt in der ARD-Sendung "Maischberger" bekräftigte.
Kritisiert werden auch ihre Thesen zur Transgeschlechtlichkeit. Das heute umstrittenste Buch Schwarzers, ein Sammelband zum Thema "Transsexualität" herausgegegeben mit Chantal Louis, enthält Aussagen wie "Trans ist Trend"; Roig spricht von transphobischen Aussagen.
"Das feministische Kernziel ist ja - neben sozialer Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit - die Abschaffung der Geschlechterrollen, die Frauen wie Männer einengen", sagte Schwarzer dem "Süddeutsche Zeitung Magazin" in einem Geburtstagsinterview. In 80 Lebensjahren und mehr als 50 Jahren feministischen Engagements hat Alice Schwarzer so manchen Kampf ausgetragen - streitbar ist sie bis heute.