Der Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Horst Gorski, zeigte sich von der Entscheidung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) enttäuscht, bei der Fußballweltmeisterschaft auf die "One Love"-Binde zu verzichten. "Ich finde es fragwürdig, dass der DFB sich wegduckt", sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst. Der Queer-Pastor der größten EKD-Gliedkirche, der hannoverschen Landeskirche, Theodor Adam, drückte ebenfalls sein Bedauern aus.
Insgesamt sieben europäische Nationalmannschaften hatten im Vorfeld der WM angekündigt, mit der Binde antreten zu wollen, die eine Regenbogenfahne in einem Herz zeigt. Auf Druck des Weltfußballverbandes Fifa hatten die Teams ihre Entscheidung am 21. November zurückgenommen.
Gorski nahm die Sportler vor dem Vorwurf in Schutz, sie instrumentalisierten mit der Armbinde den Sport. Großsportereignisse würden von Ausrichtern, Sponsoren und Verbänden wie der FIFA regelmäßig politisch genutzt. Der Vorwurf müsste sich daher auch gegen diese richten. Ein unpolitischer Sport sei ohnehin nicht vorstellbar.
Die Menschenrechtslage in Katar müsse kritisiert werden. "Dennoch wünsche ich mir im Gespräch zwischen den Kulturen auf dieser Welt von unserer Seite einen nachdenklicheren und weniger vollmundigen Ton", gab Gorski zu bedenken. "Viele Kulturen in anderen Teilen der Erde stehen eben nicht an dem Punkt, an dem wir heute stehen." Man dürfe nicht vergessen, dass auch in Deutschland Homosexualität noch vor 15 Jahren nicht überall anerkannt gewesen sei und homosexuelle Handlungen teilweise noch bis 1994 strafbar waren.
Politische Aufladung problematisch
Der evangelische Theologe sprach sich dagegen aus, in der Debatte um die WM in Katar das Thema Homosexualität symbolisch in den Mittelpunkt zu stellen. "Das Thema ist etwas unglücklich zum Symbol für westliches Denken geworden." Wegen dieser politischen Aufladung werde Homosexualität vielerorts erst recht bekämpft - nicht nur in der arabischen Welt, sondern etwa auch in Russland, Polen und Ungarn.
Der Sportbeauftragte der EKD, Thorsten Latzel, sieht durch den Verzicht auf die "One-Love"-Kapitänsbinde die Glaubwürdigkeit des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des internationalen Fußballs beschädigt. "Die ganze Aktion um die One-Love-Binde ist zu einer einzigen Farce geworden", sagte Latzel. Selbst dieses "minimale, symbolische Eintreten für Menschenrechte" sei kassiert worden, kritisierte der Theologe: "In einer Machtdemonstration hat die Fifa den DFB und die anderen europäischen Fußballverbände vorgeführt."
Ein desaströses Signal
"Das fatale Signal ist: 'Wir treten für ethische Werte ein - wenn es uns die Fifa erlaubt'", kritisierte Latzel: "Macht bricht Moral." Gerade mit Blick auf die Funktion des Fußballs, Werte an junge Menschen zu vermitteln, halte er das für desaströs, sagte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Beim Weltfußballverband Fifa brauche es dringend Veränderung, und die europäischen Verbände hätten auch Macht dazu.
Aus Sicht des Beauftragten für Queere Seelsorge in der hannoverschen Landeskirche, Theodor Adam, wäre es ein "mutiges Signal" gewesen, wenn der DFB seinen Sportlern das Tragen der Armbinde erlaubt hätte. Das ursprüngliche Vorhaben der Sportler sei immerhin ein "leises Zeichen eines Kulturwandels". Es sei bemerkenswert, dass ausgerechnet eine Regenbogen-Binde im noch immer von "stereotypen Männlichkeitsvorstellungen" dominierten Fußball zum Bekenntnis für Toleranz und Respekt für queere Menschen werden sollte.
Gerade die Nationalelf wirke vorbildhaft in die Breite des Sports. Wenn ein Manuel Neuer sich als heterosexueller Mann mit dem bekanntesten Symbol der queeren Community zeige, sei dies "keine billige Aneignung fremder Symbole, sondern Ausdruck echter Solidarität und ein Bekenntnis zu einer pluralen Gesellschaft".
Die "One-Love"-Binde steht für Menschenrechte, Diversität und Frauenrechte sowie für den Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Homophobie. Sie zeigt den Slogan "One Love" und ein buntes Herz. Das WM-Ausrichterland Katar steht wegen der Verletzung der Rechte von Frauen, Homosexuellen und Arbeitsmigranten in der Kritik.