Pfarrerin Marlen Below in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Heilige Dreifaltigkeit
© epd-bild/Charlotte Morgenthal
Pfarrerin Marlen Below in ihrer Kirchengemeinde Heilige Dreifaltigkeit in Salzgitter-Bad. Fast 60 Jahre lebte sie als Mann, verheiratet, drei Kinder.
Transidentität
Wie Marlen Below vom Pfarrer zur Pfarrerin wurde
Ulf Below ist verheiratet und hat drei Kinder. Heimlich trägt er Nagellack auf und zieht Frauenkleider an. Vor zwei Jahren beendet der evangelische Pfarrer schließlich sein lebenslanges Versteckspiel. Aus Ulf wird Marlen.

Fast 60 Jahre lang hat die evangelische Pfarrerin Marlen Below als Mann gelebt. "Mein ganzes Leben war ich der Überzeugung, dass da ein Fehler ist", sagt sie und faltet die Hände mit den lackierten Nägeln vor sich auf dem Tisch.

Vor zwei Jahren gesteht die 62-Jährige ihrer Frau Andrea erstmals, dass sie sich schon immer als Frau gefühlt habe und so leben wolle - nach fast 20 gemeinsamen Ehejahren. Im Esszimmer hängen an der Wand hinter dem Ehepaar gemeinsame Fotos mit den drei Kindern. "Es war ein großer Schreck und gleichzeitig eine Erlösung", sagt Andrea Below.

Schon lange habe sie gespürt, dass etwas zwischen ihnen gestanden habe. Sie sei nicht dahintergekommen, was es sei, sagt Andrea Below und blickt zu ihrer Frau neben sich. Beide tragen Make-up und eine Perlenkette um den Hals. "Es war ein großes Geschenk, es zu wissen." An Trennung habe sie nicht gedacht.

"Mir war schnell klar, dass ich den Weg der Veränderung mitgehen möchte." Sie sei zuversichtlich, dass sie als Paar zusammenblieben, auch wenn es "harte Arbeit" sei. "Wir sind mittendrin und lange nicht fertig."

Unterstützung aus der Gemeinde

Für Marlen Below enden damit viele Jahrzehnte Versteckspiel, während derer sie als Ulf Below lebte. Schon mit fünf Jahren habe sie gemerkt, dass etwas anders sei. Der Wunsch, sich weiblich zu kleiden, sei ein Leben lang geblieben. Erst als Below mit Tinnitus und drohendem Burnout in eine Klinik kommt, findet sie in der Therapie den Mut zur Offenheit.

Marlen Below (r.) mit Ehefrau Andrea - ein neues Leben.

Als Below auch die Mitglieder der Kirchengemeinde im niedersächsischen Salzgitter mit einem Brief darüber informiert, dass sie künftig Pfarrerin Marlen Below sei, erfährt sie nur Unterstützung, wie sie erzählt. Das Schreiben wird in Windeseile auch im Internet verbreitet und erreicht sogar ehemalige Konfirmanden in Süddeutschland, die sie beglückwünschen. Blumen und Karten werden an der Haustür abgegeben.

Trennung und Mobbing die Regel

Der Fall von Marlen Below ist damit eine Ausnahme. Laut Experten ist der Verlust des Arbeitsplatzes, die Trennung von Partner oder Partnerin und der Familie oft eine Folge der sogenannten Transition, des Prozesses der Geschlechtsangleichung. Häufig sei es ein "schleichendes Ende", wenn die Partner nach einer gewissen Zeit merkten, dass sie doch nicht mit einer Frau oder einem Mann zusammenleben könnten, sagt Petra Weitzel, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität in Frankfurt am Main.

Auf dem Motorrad ist Pfarrerin Marlen Below weiter unterwegs und leitet die Seelsorge für Motorradfahrer in der Landeskirche.

Am Arbeitsplatz nehme Mobbing aufgrund des veränderten Aussehens ebenfalls oft zu, ergänzt Weitzel. Kundenkontakt werde verwehrt, die betreffenden Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter würden in die "dunkle Besenkammer" geschickt. Nur wenige größere Unternehmen hätten sogenannte Transitionsrichtlinien eingeführt oder garantierten einen Kündigungsschutz für diese Zeit.

Übergriffige Fragen

Auch für Marlen Below beginnt mit dem Outing eine teils anstrengende Zeit. Um ihren Namen zu ändern, benötigt sie zwei unabhängige psychologische Gutachten und muss die sogenannte Personenstandsänderung bei Gericht beantragen. Dort dauert der Termin dann nur dreizehn Minuten. "Es ist total verrückt, dass der Richter, den ich überhaupt nicht kenne, eine Unterschrift setzt und damit rechtsgültig wird, worauf ich mein Leben lang gewartet habe", sagt Below. Seit zwei Monaten steht nun auch im Personalausweis "Marlen" - inspiriert durch den Schlager der 1930er Jahre, "Lili Marleen" von Lale Andersen.

Laut Robin Ivy Osterkamp, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Trans gibt es noch zu viele Hürden für Transpersonen. "Die derzeitigen Fragen der psychologischen Gutachter zum Sexualleben oder zur Unterwäsche sind oft übergriffig und traumatisieren die Betroffenen."

Motorrad-Seelsorgerin

Die Änderung von Geschlecht und Namen müsste so einfach wie möglich gemacht werden, fordert Osterkamp. Die Hoffnung liege dabei auf dem von der Ampel-Koalition angekündigten Selbstbestimmungsgesetz, welches das Leben für trans- und intergeschlechtliche Menschen verbessern soll.

Ausgrenzung und Anfeindung hat Marlen Below bei ihrer Transition nie erfahren. "Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst so offen mit meiner Geschichte umgehe", sagt sie lächelnd. Während für viele andere der vorige Name der Vergangenheit angehöre, störe sie sich nicht, wenn dem ein oder anderen noch ein "Ulf" rausrutsche. Das sei ja schließlich 60 Jahre so gewesen. Derzeit lässt sie sich die bis zu 30.000 Barthaare in einer schmerzhaften Behandlung entfernen, nimmt Hormone. Im nächsten Jahr stehe schließlich eine geschlechtsangleichende OP an.

Manche ihrer Hobbys lebten aus ihrem früheren Leben fort und würden womöglich von einigen Menschen als "eher männlich" empfunden, sagt Below. "Wenn wir Holz machen, habe ich weiter die Kettensäge in der Hand." Auch auf dem Motorrad ist sie weiter unterwegs, leitet die Seelsorge für Motorradfahrer in der Landeskirche. Der neue Name "Marlen - Seelsorgerin" ist bereits auf ihre Jeans-Kutte gestickt.

Für Andrea Below, die als Schulpastorin arbeitet, wird es wohl noch eine Zeit dauern, bis sie ganz und gar begriffen hat, dass der Mensch, den sie als Ulf kennen und lieben gelernt hat, jetzt Marlen ist. Noch vermische sich das Bild, sie sehe beide vor sich - und sei mit beiden in Liebe verbunden, sagt sie. Lächelnd fügt sie hinzu: "Ich warte noch darauf, dass ich von ihr träume."