Der Kirchturm hat jetzt sogar eine eigene Hausnummer. Böhmerstraße 8A wird sie lauten, erzählt Investor Dirk Felsmann (58). Er öffnet die Eingangstür des weiß getünchten Turms und steigt über einige Windungen die Treppe hoch. Zwar wurden die Glocken längst nach Vorpommern verkauft. Doch der frei stehende Turm wird auch künftig eine zentrale Funktion haben, wenn bald die ersten privaten Mieter in die frühere Athanasiuskirche in Hannover einziehen: "Er dient als Treppenhaus." Von dort gelangen die Bewohner über eine Brücke und einen Gang in ihre neu geschaffenen Wohnungen, sagt Felsmann. "Die haben wir unter das Kirchendach gesetzt."
Der Jurist und Bauingenieur hat die 2013 entwidmete Kirche vor sieben Jahren gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Gert Meinhof von der evangelischen Südstadt-Gemeinde gekauft - für 540.000 Euro. Das Gebäude wurde nicht mehr benötigt, denn die 2009 aus einer Fusion gegründete Gemeinde besitzt noch zwei andere Kirchen. Jetzt wollen die Investoren den Nachkriegsbau, errichtet von 1962 bis 1964 von dem Architekten Wolfgang Rauda, einer anderen Nutzung zuführen. Der Abriss eines solchen Gebäudes wäre für ihn undenkbar, betont Felsmann: "Wir wollen alte Immobilien erhalten, aus Respekt vor dem Gebäude und der handwerklichen Kunst der Erbauer."
Dass Kirchen für neue Zwecke genutzt werden, entspricht einem bundesweiten Trend. "Die Prognose für die nächsten Jahre ist, dass die Kirchen rund 30 Prozent ihres Gebäudebestandes aufgeben müssen", erläutert Stephanie Lieb von der Katholischen Akademie Schwerte. Die Kunsthistorikerin gehört zum Leitungsteam eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema "Sakraltransformation in Deutschland".
Aus ihrer Sicht werden in Zukunft immer mehr leerstehende Kirchen zum Verkauf angeboten und umgestaltet. "Das nimmt jetzt Fahrt auf." Bei einigen Hundert der bundesweit rund 50.000 Kirchengebäuden ist es schon geschehen: Sie wurden zu Musikzentren oder Synagogen umgebaut oder dienen jetzt als Restaurant, Zirkuskirche oder Dorfgemeinschaftshaus.
Konzept sieht drei Schichten vor
Für die Athanasiuskirche in Hannover, einen nüchternen Funktionsbau, haben sich die Investoren ein Dreifach-Konzept überlegt: Drei unterschiedliche Nutzungen mit drei separaten Eingängen legen sich in drei Schichten übereinander - wie bei einem Sandwich: Unter dem Dach fünf Wohnungen mit Balkon, im Erdgeschoss ein Kulturzentrum. Und dazwischen das "Haus der Religionen". Die bundesweite einzigartige Bildungsstätte zum interreligiösen Gespräch, die schon seit langem Mieterin in der Kirche war, eröffnet dort am 21. November ihre neu gestalteten Räume - dazu hat sich sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angesagt.
Die Initiatoren der Bildungsstätte freuen sich über ihr neues Domizil, denn seine Fläche hat sich glatt verzehnfacht. Felsmann und Meinhof haben riesige Fenster in die einstigen Kirchenmauern hineinbrechen lassen, alles wirkt geräumig und hell. "Das Haus der Religionen hat Licht in die Kirche gebracht", schmunzelt die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi. Schulklassen und andere Gruppen sollen hier künftig zu Gast sein, eine neue Ausstellung anschauen und darüber ins Gespräch kommen. Auch der Bundeskongress der Räte der Religionen wird hier künftig seinen Sitz haben.
Die Etage darunter wird an die Stadt vermietet, die dort schon seit einigen Jahren ein Kulturbüro betreibt. Hier sollen Chöre proben und Kulturschaffende eine Bühne erhalten. Um die Last der Einbauten in den Etagen darüber zu tragen, ließen die Investoren in den Bühnenraum ganz unten sechs mächtige Säulen einziehen. Fünf Millionen Euro kostet jetzt der Umbau der Athanasiuskirche.
Für die Wohnungen ganz oben ließen die Investoren in den einst 14 Meter hohen Gottesdienstraum Zwischendecken einziehen. "Das Gebäude ist in seiner äußerlichen Hülle komplett erhalten geblieben und zeigt auch noch, dass es mal eine Kirche war", betont Felsmann. Wer ganz links wohnt, hat sogar noch das großflächige Wandgemälde im Wohnzimmer, das der Münchner Künstler Hubert Distler 1964 für die Altarwand der Kirche schuf.