Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine ihre friedensethischen Positionen überdenken. Wie der EKD-Friedensbeauftragte Friedrich Kramer am Montag bei der EKD-Synode in Magdeburg sagte, soll eine sogenannte Friedenswerkstatt ins Leben gerufen werden. Sie soll die Denkschrift aus dem Jahr 2007, die bislang Grundlage für die friedensethische Haltung der evangelischen Kirche ist, überprüfen und gegebenenfalls ergänzen oder gänzlich neu fassen.
Die Weiterentwicklung oder auch neue Grundlegung der evangelischen Friedensethik habe besondere Dringlichkeit erlangt, sagte Kramer vor den 128 Delegierten des evangelischen Kirchenparlaments, das noch bis Mittwoch in Magdeburg tagt. Es sei ein breiter Prozess der Verständigung nötig.
In der evangelischen Kirche gibt es seit Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar eine heftige Debatte über ethische Fragen, etwa über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Der EKD-Friedensbeauftragte Kramer hat von Beginn an Waffenlieferungen abgelehnt, andere wie etwa die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, oder auch der frühere EKD-Ratsvorsitzende und Ethiker Wolfgang Huber befürworten Waffenlieferungen. Die Kontroverse ist ein Schwerpunkt der derzeitigen Synodentagung in Magdeburg.
Kramers pazifistische Haltung stößt innerhalb der evangelischen Kirche angesichts des Kriegs in der Ukraine auf viel Kritik. Bei der Synode erntete der mitteldeutsche Bischof für seinen Bericht verhaltenen Applaus, in Redebeiträgen sowohl Dank für die Arbeit als auch Kritik von den Mitgliedern des Kirchenparlaments. Der Journalist Arnd Henze sagte, er fürchte, dass die evangelische Kirche die Anschlussfähigkeit an die Realität verliere, "wenn wir in einem schmutzigen Krieg an der Sehnsucht nach einer sauberen Ethik festhalten".
Nicht vor Frage der Abschreckung drücken
Die frühere Synodenpräses der EKD und Bundesministerin Irmgard Schwaetzer mahnt an, dass nicht nur die Perspektive der evangelischen Friedensbewegung im Prozess gehört werden dürfe, sondern man auch mit realpolitischen Akteure sprechen solle, die Einblicke in die konkreten außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg hätten. Sie befürchte sonst eine Einseitigkeit des Prozesses, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Bundeswehr-Generalmajor Ruprecht von Butler sagte, die evangelische Kirche dürfe sich, wenn sie in der Mitte der Gesellschaft stehen wolle, auch vor der Frage der Abschreckung nicht drücken. Butler stellte dabei die Frage in den Raum, ob die Ukraine heute in der Situation wäre, wenn sie ein Abschreckungspotenzial wie andere Staaten gehabt hätte.
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) entgegnete Kramer, der von einem "aggressiven Okkupationskrieg" gegen die Ukraine sprach, es gehe nicht nur um Okkupation. Es gehe um den Wunsch nach Vernichtung eines Volkes, von Kultur, Sprache und Identität, sagte sie. Das müsse die evangelische Kirche bei ihren ethischen Überlegungen berücksichtigen.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion und frühere Bundesminister Hermann Gröhe betonte, die pazifistische Position, wie Kramer sie stark mache, gehöre selbstverständlich "zu uns als Christinnen und Christen". Gröhe sagte, innerhalb der Kirche hätten es andere Haltungen als diese jedoch seit 30 Jahr schwer gehabt. Er könne alle Friedensgebete mitbeten, müsse ihnen aber auch die Bitte hinzufügen, dass die Befreiung der Stadt Cherson bis zum Winter gelinge.
Die neue Friedenswerkstatt soll Kramer zufolge in drei Stufen die Friedensdenkschrift von 2007 überprüfen. In der ersten Stufe sollen rund 30 Expertinnen und Experten gehört werden. Ein redaktionelles Team soll dann einen neuen Grundlagentext erstellen und entscheiden, ob die Friedensdenkschrift ergänzt oder neu verfasst werden soll. Dieser Prozess sei auf zwei Jahre angelegt, heißt es im schriftlichen Bericht des Friedensbeauftragten. Geplant sei, dass der neue Grundlagentext möglichst bis Ende 2024 vorliegt.
In der zweiten Stufe sollen Kirchenmitglieder aus verschiedenen EKD-Gliedkirchen im Format sogenannter Bürgerräte einzelne Positionen diskutieren. Im dritten Schritt schließlich wird geprüft, ob der Grundlagentext auch auf die praktische Friedensarbeit gut angewendet werden kann.