Im Sommer hat die Bundesregierung ein Selbstbestimmungsgesetz angekündigt, das das 40 Jahre alte Transsexuellengesetz ablösen soll. Zugleich macht Gewalt gegen Transpersonen Schlagzeilen. Diesen Sommer wurde z.B. der Transmann Malte C. in Münster angegriffen und getötet. Das illustriert drastisch die Schwierigkeiten, mit denen Transpersonen konfrontiert sind, und auch das hat mit dem Gesetzesvorschlag zu tun. Worum geht es genau?
Das vorgeschlagene Gesetz soll es Transpersonen (bzw. Transsexuellen, Transgendern) ermöglichen, selbstbestimmt ihren Vornamen und die offizielle Angabe zu ihrem Geschlecht zu ändern. Als trans bezeichnet man Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. In primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen entsprechen sie entweder Männern oder Frauen, doch sie selbst betrachten sich als zum anderen Geschlecht gehörend oder aber als teils männlich, teils weiblich.
Alexander Maßmann wurde im Bereich evangelische Ethik und Dogmatik an der Universität Heidelberg promoviert. Seine Doktorarbeit wurde mit dem Lautenschlaeger Award for Theological Promise ausgezeichnet. Publikationen in den Bereichen theologische Ethik (zum Beispiel Bioethik) und Theologie und Naturwissenschaften, Lehre an den Universitäten Heidelberg und Cambridge (GB).
Um in dem Geschlecht anerkannt zu werden, mit dem sie sich identifizieren, müssen Transpersonen bislang aufwändige Gutachten beibringen, woraufhin ein Gericht dann eine Entscheidung fällt. Mit dem neuen Gesetz läge die Entscheidung dagegen bei den Transpersonen selbst. Ein langwieriges Verfahren, das sie als sehr belastend empfinden, würde entfallen.
Die soziale Lage von Transpersonen: In Deutschland wissen wir von etwa 0,3 Prozent der Bevölkerung, dass sie trans ist, doch es ist zu erwarten, dass sich mit einem Selbstbestimmungsgesetz mehr Menschen outen. In den USA, wo das Thema schon länger diskutiert wird, sind etwa 1,3 Prozent der 13– bis24-jährigen trans, in den darüberliegenden Altersgruppen sind es etwa 0,5 Prozent. Viele davon haben sich einer medizinischen Geschlechtsangleichung unterzogen oder streben das an, doch keineswegs alle.
Dass die Gesellschaft Transpersonen immer wieder auf das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht festlegt, erleben sie als Konflikt, der äußerst belastende Formen annehmen kann. In einer Studie aus Deutschland gaben 40 Prozent von Transpersonen an, sie leiden unter Angststörungen, zum Beispiel, weil sie gemobbt werden. Bis zu 30 Prozent von Trans-Jugendlichen begehen einen Suizidversuch. Signalisiert dagegen das Umfeld, zum Beispiel die Schule, aktiv Toleranz und Akzeptanz von LGBT (Lesben, Schwulen, Bi- und Transpersonen), dann nehmen suizidale Phantasien merklich ab. Interessanterweise gilt das für alle Schüler:innen, auch diejenigen, die nicht LGBT sind. Von Toleranz und Akzeptanz profitieren alle, unabhängig von ihrer sexuellen Identität.
Mehrere Studien bestätigen, dass sich die seelische Gesundheit von Transpersonen nach einer medizinischen Geschlechtsangleichung verbessert. Doch bei dem Gesetzesentwurf geht es nicht um medizinische Eingriffe. Immerhin verspüren Transpersonen auch dann zumindest eine gewisse Besserung der seelischen Gesundheit, wenn sie einerseits ihren Vornamen und den Geschlechtseintrag ändern, andererseits aber keinen medizinischen Eingriff vornehmen.
"… männlich und weiblich schuf er sie …" – ?
Kritiker der Transsexualität berufen sich darauf, dass es schon bei der Geburt und darüber hinaus klar scheint, dass von Natur aus eine einfache und klare Zweier-Ordnung der Geschlechter herrscht. Naturwissenschaftlich sind die Dinge längst nicht so einfach, etwa in der neueren Hirnforschung. Doch gegen Transpersonen beharren Kritiker auf der Vorstellung, dass Männer eindeutig Männer und Frauen eindeutig Frauen sind und nichts anderes. Wenn die Verhältnisse scheinbar so klar und einfach sind, wäre es problematisch, eine "Geschlechtsumwandlung" in den offiziellen Dokumenten zu erleichtern. Nun wird die schlichte, scheinbar unkomplizierte Geschlechter-Ordnung in der Natur anscheinend von einem prominenten Bibeltext bekräftigt: "Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde … männlich und weiblich schuf er sie" (1. Mose 1:27).
Doch dieser Vers wird schon in der Bibel selbst durch den Apostel Paulus offen kritisiert. Er bestreitet rundweg, dass das "männlich und weiblich" vorgeben kann, wie Christinnen und Christen zu leben haben: "Hier ist weder Jude noch Grieche, hier ist weder Sklave noch Freier, hier ist weder männlich und weiblich" (Galater 3,28). Hier zitiert Paulus "männlich und weiblich" direkt aus 1. Mose 1 (und nimmt dafür eine etwas unelegante Ausdrucksweise in Kauf, die unsere Übersetzungen nicht präzise wiedergeben). Paulus bestreitet, dass man sich auf Gottes Willen als Schöpfer berufen könne, wenn man argumentiert, ein bestimmtes Verhalten verstoße gegen die Ordnung der Natur. Entscheidend ist allein, dass in Christus alle mit Gott versöhnt sind.
An anderer Stelle ruft Paulus eine neue Schöpfung aus, in Kontrast zur alten: "Wenn jemand in Christus ist: neue Schöpfung!" (2. Korinther 5,17). In anderem Zusammenhang schreibt er, man dürfe Mitchristen nicht durch moralischen Druck in Gewissensnöte stürzen, wenn sich ein moralischer Konflikt nicht im Einvernehmen ausräumen lässt: "Du aber, was richtest du deinen Bruder?" (Römer 14,10–23). Also sollten Christinnen und Christen gerade Transpersonen respektieren, die teils offener Gewalt ausgesetzt sind, denen soziale Konflikte oft seelische Nöte bereiten und unter denen die Rate der Suizidversuche erschreckend hoch ist.
Weitere Diskussion um Selbstbestimmungsgesetz
Neben den theologischen Argumenten gibt es aber auch Bedenken praktischerer Art gegenüber dem Selbstbestimmungsgesetz. Kritiker:innen befürchten, dass dass eine Erleichterung bei der Änderung der Dokumente auch solche Teenager anlockt, die sich nur vorübergehend und irrtümlich für trans halten. Künstlich beschwöre man unnötige Geschlechts- und Identitätskonflikte herauf.
Beim Gesetzesvorschlag geht es nicht um medizinische Eingriffe in den Körper, sondern um die Änderung von Dokumenten, die nach einem Jahr auch wieder rückgängig gemacht werden kann. Doch ist eine solche Änderung vielleicht ein Schritt auf eine schiefe Ebene, die Nicht-trans-Jugendliche in Richtung einer medizinischen Geschlechtsumwandlung lenken würde? Hier ist zu bedenken, dass Jugendliche zur Änderung der Dokumente nach dem Gesetzesvorschlag das Einverständnis der Eltern brauchen. Um eine Änderung der Dokumente gegen die Eltern durchzusetzen, müssten Jugendliche ein Schiedsgericht überzeugen. Ist das Kind dagegen noch jünger als 14, müssten die Eltern einer Änderung nicht nur zustimmen, sondern selbst das Heft aktiv in die Hand nehmen. Doch schon vor dem 14. Lebensjahr kann die Pubertät bereits größere emotionale Klarheit über die geschlechtliche Identität schaffen.
Zwar können Kinder und Jugendliche verschiedentlich Fragen zu ihrer Geschlechtsidentität haben und schließlich doch ihr herkömmliches offizielles Geschlecht bejahen. Doch Kritiker, die befürchten, das Gesetz verleite zu falschen Festlegungen, erkennen in der Regel nicht die gravierenden Konflikte an, denen Transpersonen tatsächlich ausgesetzt sind. In der Befürchtung einer abstrakten Gefahr ignorieren sie oft die wirklichen, ernsthaften Belastungen. Sie lehnen einen Vorschlag ab, der Transpersonen real helfen würde, um eine Gefahr zu vermeiden, die abstrakt und spekulativ ist.
Schlussfolgerung
Die Initiative der Bundesregierung zu einem neuen Selbstbestimmungsgesetz ist zu begrüßen, auch aus christlicher Sicht. Sicherlich fürchten einige, ein neues Gesetz könnte einzelne zu einem irrtümlichen Selbstverständnis als trans verleiten. Um der befürchteten Gefahr vorzubeugen, bedürfte es weiterer Anstrengungen in den Bereichen Erziehung, Bildung und Seelsorge. Die Ansicht, alles solle beim Alten bleiben, ist dagegen kein gangbarer Weg mehr. Die menschlichen Kosten des gegenwärtigen Zustandes sind untragbar.