Herr Albert, in einer Zeit, in der religiöse Gewissheiten in Frage gestellt werden, beraten Sie als Coach, wie man Christ wird und bleibt. Was treibt Sie an?
Attila Albert: Den meisten meiner Klienten geht es um ihre berufliche Weiterentwicklung, manche wollen auch ihren Lebensstil ändern, etwa mehr Zeit für ihre Familie und sich haben. Nur selten sind spirituelle oder religiöse Fragen ein Thema. Ich frage kurz danach, vertiefe das aber in diesem Rahmen nur auf Wunsch. Mein Buch entstand als Reaktion darauf, dass Coaching, Persönlichkeitsentwicklung und sogar das HR [Personalwesen, Human Resources] beim Arbeitgeber heute vielfach stark von Esoterik- und New-Age-Konzepten dominiert werden. Oft ohne, dass das den Betreffenden überhaupt klar ist. Dem wollte ich die christliche Alternative entgegensetzen, die ich für die bessere halte. Selbstverständlich kann aber auch das nur ein Angebot sein.
Welche Frage zum Christsein oder Christwerden wird Ihnen derzeit am häufigsten gestellt? Und was antworten Sie darauf?
Albert: Überraschenderweise habe ich weniger Fragen als Zuspruch erhalten. Andere haben ihre Dankbarkeit ausgedrückt, dass jemand – in dem Fall ich – ganz selbstverständlich über seinen Glauben spricht, ohne sich dafür zu genieren oder hinter Unverbindlichkeiten zu verstecken. Darunter waren Freunde, Kollegen oder ganz Unbekannte, die manchmal selbst schon aus der Kirche ausgetreten waren. Aber auch viele, die sich darüber gefreut haben, wenn doch sonst ständig nur von Problemen und Schwierigkeiten der Kirche die Rede ist. Meine eigene Geschichte – bis zur Volljährigkeit im atheistischen Sozialismus gelebt, mit 36 getauft – war für sie ein Beleg, dass ich mich ernsthaft damit auseinandergesetzt habe.
Seuchen, Kriege, Inflation, Klimawandel und soziale Umbrüche haben die Menschheit immer begleitet.
Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen unserer Zeit – und wie können wir mit ihnen umgehen?
Albert: Zuerst würde ich sagen, dass wir speziell in Europa sehr dankbar dafür sein können, wie klein unsere Herausforderungen im Vergleich zu denen früherer Generationen sind. Dafür müssen wir nicht Jahrhunderte zurückdenken, sondern nur an die Lebensumstände und die Weltverfassung in der Zeit unserer Großeltern und Urgroßeltern. Seuchen, Kriege, Inflation, Klimawandel und soziale Umbrüche haben die Menschheit immer begleitet, und zwar mit sehr viel drastischeren Folgen für den Einzelnen als heute. Als größte Herausforderung unserer Zeit empfinde ich nun speziell für uns, inmitten einer technisierten, naturfernen und globalen Welt das Menschliche zu bewahren: Ein Verständnis unserer menschlichen Natur und sich entsprechend zu verhalten – zum Beispiel andere verstehen zu wollen, respekt- und verständnisvoll zu sein, akzeptieren und vergeben zu können.
In Ihrem Buch dreht sich alles um "9 Wahrheiten, die dich durchs Leben tragen". Was sind das für Wahrheiten und welche davon gibt Ihnen persönlich am meisten Kraft?
Albert: Die Wahrheiten fassen neun Grunderfahrungen zusammen, denen sich jeder einmal stellen muss. Dass das Leben nicht gerecht ist, beispielsweise, dass man nie alles erreichen kann, dass es nicht einfach ist, das Richtige zu tun. Auch, dass sich nicht jedes Problem lösen lässt, obwohl das heute allgemein erwartet wird. Sie entstanden aus meiner Beobachtung als Coach, wie viele Menschen heute – in den wieder einmal unruhigen Zeiten – verzweifeln, wütend oder mutlos sind. Am meisten Kraft gibt mir die Wahrheit, dass ich besser nicht nur an mich und meine Fähigkeiten glaube, sondern zuerst an Gott und dass mit ihm alles gut werden wird. Danach kommt dann das, was ich dazu beitragen kann. Das hat mich in vielen Lebensphasen ermutigt und im Zweifel auf die richtigen Prioritäten hingewiesen.
Sie ermuntern stets zu einem gelingenden Leben. Was sind die Zutaten dafür, damit das gut klappen kann?
Albert: Hier würde ich den Dreiklang für ein gelungenes Leben nennen, wie ihn Jesus gelehrt hat: Gott lieben sowie seinen Nächsten wie sich selbst (Matthäus 22,35-40). Praktisch heißt das: sich Gott widmen und etwas für seine Schöpfung tun, etwa auch durch ein Engagement für Menschen- oder Minderheitenrechte, Klima-, Umwelt- oder Tierschutz. Zweitens, etwas für Menschen im direkten eigenen Umfeld tun: den Partner unterstützen, einen kranken Freund besuchen, eine einsame frühere Kollegin anrufen. Und drittens etwas für sich tun: gut essen und trinken, zum Tanz oder Sport, sich mal wieder etwas Schönes kaufen oder eine Reise erlauben. In der Summe ergibt das ein sinnvolles, ganzheitliches und reiches Leben.
Warum sind Ihnen Liebe und Nächstenliebe so wichtig?
Albert: Weil ich hier die Kluft zwischen erklärtem Anspruch und Wirklichkeit als besonders groß empfinde. Es geht ja in Filmen, Romanen und Serien ständig um die große Liebe, auch am Arbeitsplatz wird viel von Achtsamkeit und Empathie geredet. Der Umgang miteinander ist dann doch oft ein anderer, und das hat viel mit falschen Erwartungen zu tun. Selbst der beste Partner, Verwandte, Freund und Kollege ist eben manchmal schwierig, macht Probleme, braucht Geduld, Verständnis und Hilfe. Das muss man erst einmal anerkennen und damit umgehen lernen – dass der andere bedürftig ist, man selbst auch. Dafür möchte ich werben: Liebe als Zuneigung, die sich praktisch ausgedrückt, weil das unser eigenes Leben und das der anderen verbessert, langfristig auch die größere Gemeinschaft.
Der größte Fehler ist, es allein probieren zu wollen, etwa aus Unsicherheit oder Enttäuschung.
Welche Anfängerfehler lassen sich leicht vermeiden, wenn man seinem Leben als Christ eine neue Richtung geben will?
Albert: Das hängt sicher von der Ausgangssituation ab, ob beispielsweise jemand den Glauben ganz neu entdeckt, von der Kirche enttäuscht oder einfach gleichgültig geworden ist. Der größte Fehler ist sicher immer, es allein probieren zu wollen, etwa aus Unsicherheit oder Enttäuschung. Ich würde grundsätzlich empfehlen, sich einen fachkundigen, erfahrenen Lehrer und Begleiter zu suchen. Das kann ein Pastor oder Priester sein, ein geistlicher Begleiter oder auch ein christlicher Freund mit Lebenserfahrung. Er kann dabei helfen, persönliche oder inhaltliche Irrtümer früh zu erkennen und zu korrigieren, einen ermutigen und motivieren. Er muss selbstverständlich qualifiziert und charakterlich geeignet sein.
Sie geben zudem ganz praktische Tipps, wie man seinem Leben einen tieferen Sinn geben kann. Womit fängt man am besten an?
Albert: Im erwähnten Dreiklang – Gott lieben sowie andere wie sich selbst – erkennen, wo man bisher noch die größte Schwäche hat und sich dort mehr engagieren. Wer beispielsweise bisher nur eine gut gemeinte, aber sehr abstrakte Schöpfungsliebe ("unseren Planeten retten") pflegt, könnte sich am Wohnort um konkrete Menschen in ihrer Not kümmern. Wer sehr viel für andere tut, aber sich dabei vergisst, könnte Arbeit, Ehrenämter und Familie ein wenig reduzieren und sich wieder mehr Erholung, Spaß und Lebensfreude erlauben. Ich würde also empfehlen, Balance und Ausgleich zu suchen und Seiten an sich zu entdecken und zu fördern, die bisher ein wenig unterentwickelt waren. Ich war früher beispielsweise sehr unsicher und schüchtern. Mir hat es geholfen, in der Gemeinde unter anderem ehrenamtlich den Einlass im Gottesdienst zu übernehmen, später bei der Kinderbetreuung mitzuhelfen und Ferienlager für Teenager zu begleiten. Bei all dem wurde ich auf gute Weise herausgefordert und habe am Ende mehr bekommen, als ich gegeben habe.
Was raten Sie Menschen, die spirituell wachsen wollen?
Albert: Sich neuen Aspekten des Glaubens auszusetzen, um mehr und Neues über Gott und sich selbst in Beziehung zu ihm lernen. Im Buch habe ich sieben Dimensionen beschrieben, die man für sich erkunden kann: geistig, seelisch, körperlich, allein und gemeinschaftlich, in der Heimat und in der Ferne. Wer beispielsweise bisher vor allem intellektuell herangegangen ist, etwa durch Bibelstudium, könnte eine körperliche Variante wie eine Pilgerwanderung vornehmen. Wer nur seine Variante des Glaubens kennt, könnte Glaubensbrüder und -schwestern in anderen christlichen Richtungen besuchen. Bei dieser Suche würde ich auch Grenzen setzen, konkret innerhalb des Christentums und seiner Lehre bleiben. So haben mir mehrere Freunde empfohlen, doch einmal "bewusstseinserweiternde" Drogen zu probieren und mehr ins New Age einzutauchen. Das wäre kontraproduktiv.
Und was kann Ihrer Ansicht nach die Institution Kirche aus den 9 Wahrheiten lernen und unternehmen, um ihrem Mitgliederschwund entgegenwirken zu können?
Albert: Das Naheliegende tun, das so einfach klingt und doch so schwierig ist: Die Mitgliederzahl wieder steigern – also die Missionierung (Matthäus 28,19–20) im eigenen Land als höchste Priorität zu definieren, der alles andere nachgeordnet ist. Welche Gemeinde wächst und was können wir ihr nachtun, sind unsere Angebote – vom Gottesdienst bis zu Materialien und Webseiten – so, dass Sie bei Ungläubigen, Andersgläubigen und Gleichgültigen den Wunsch wecken, Christ zu werden und zu bleiben? Dabei geht es um sehr menschliche Bedürfnisse: Trost und Zuspruch, Anregung und Ermutigung. Es muss jedoch immer klar sein, dass die Erlösung durch Jesus und der Glauben an ihn das Hauptangebot der Kirche ist. Sie ist keine christlich verargumentierte NGO mit Sozial- oder Kulturauftrag, wie es unzählige andere gibt, sondern auf ihre Weise einzigartig und unersetzbar.