Der Krieg in der Ukraine hat auch den Reformationstag 2022 geprägt. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, rief zu verstärkten Bemühungen für eine Waffenruhe auf. "Die Alternative zum gerechten Frieden darf nicht endloser Krieg sein", erklärte die westfälische Präses am Montag zum Reformationstag in Wittenberg. Krieg dürfe niemals die Politik ersetzen.
"Darum: Verachtet Verhandlungen nicht. Glaubt an die Kraft des geistesgegenwärtigen Wortes. Traut den kleinsten Schritten etwas zu", mahnte die Theologin. Frieden könne letztlich nur durch das Wort, durch Verhandlungen entstehen. Der erste Schritt sei: "Die Waffen müssen schweigen", so die EKD-Ratsvorsitzende am Ursprungsort der Reformation, der Wittenberger Schlosskirche. Friedensverhandlungen schienen derzeit in weiter Ferne zu liegen, räumte Kurschus ein. Verhandlungen seien jedoch nur möglich, wenn der Gegner nicht zum Feind oder gar Teufel ernannt werde.
Kurschus bekräftigte ihre Kritik am Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Der Moskauer Patriarch Kyrill spanne "Gott vor Putins Krieg", betonte sie mit Blick auf die Unterstützung der russisch-orthodoxen Kirche für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den Angriffskrieg in der Ukraine.
Der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU) betonte zum Reformationstag die Bedeutung des christlichen Glaubens für politisches Handeln. In Sachsen-Anhalt ist der Reformationstag gesetzlicher Feiertag. Das biblische Zitat "Fürchtet Euch nicht" gelte auch für Politiker, erklärte Haseloff im Magdeburger Dom. Diese sollten die Menschen ermutigen, betonte er laut vorab verbreitetem Redemanuskript. Ermutigung habe nichts mit Illusionen zu tun.
Der anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig mahnte angesichts des Ukraine-Kriegs mehr Respekt bei politischen Diskussionen an. "Wer nicht wenigstens versucht, in der Meinung des Gegenübers auch Wahrheit zu suchen, ist zum Gespräch nicht geeignet", erklärte er am Reformationstag in Dessau-Roßlau.
Bremens leitender evangelischer Theologe Bernd Kuschnerus forderte dazu auf, trotz zunehmender Sorgen und sich überlagernder Krisen fair miteinander umzugehen. "Manchmal habe ich das Gefühl, wir gehen auf einen dunklen Gang zu und wissen nicht, wo er aufhören wird", sagte der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche am Montag in einem ökumenischen Gottesdienst in Bremen.
Laut Überlieferung hat Martin Luther am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg 95 Thesen zu den Themen Ablass und Buße angeschlagen. Ziel war es, eine akademische Diskussion darüber herbeizuführen. Im Kern bestritt er die herrschende Ansicht, der Ablass sei die Voraussetzung, den Menschen von der Sünde zu erlösen. Der Thesenanschlag gilt als Beginn der Reformation.
"'Kirchesein' nicht mit dogmatischen Fragen lähmen"
Angesichts der Krisen in der Welt dringt die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, auch auf ein gemeinsames Auftreten der christlichen Kirchen. "Was die Welt jetzt von uns braucht, ist, dass wir auf die Krisen der großen Welt gemeinsam reagieren, dass wir gemeinsam handeln", sagte die Präses der westfälischen Landeskirche dem Portal "domradio.de" zum Reformationstag am Montag. Bei wichtigen Themen wie Klimawandel, Armut oder Flüchtlingen müsse die Gesellschaft die evangelische und die katholische Kirche Seite an Seite erleben.
Auch die Kirchen selbst seien derzeit von unterschiedlichen Krisen betroffen und damit beschäftigt, sagte Kurschus. Dadurch stehe die Bewegung aufeinander zu im Moment nicht so im Vordergrund. "Das ist aber kein Zustand, der so bleiben darf, weil die Welt uns gemeinsam braucht und weil die Krisen zu groß sind, als dass wir uns jetzt in unserem 'Kirchesein' mit dogmatischen Fragen lähmen dürften", mahnte die EKD-Ratsvorsitzende.
Auf die Frage zu einer möglichen Wiedervereinigung von evangelischer und katholischer Kirche erklärte Kurschus, dass Einheit kein "fauler Kompromiss" sein dürfe, der das Unterscheidende verschweige oder kleinrede. "Aber das Trennende darf auch nicht zu einer Mauer werden, die verhindert, dass wir uns miteinander bewegen oder dass wir immer im Gespräch bleiben", sagte sie. Die Vielfalt in der Einheit sei bereichernd.
Für sie persönlich bedeute Reformation, dass Umkehr und Veränderung in jeder Situation möglich seien. "Das war es ja, was Martin Luther damals bewirkt hat: dass es einen großen Umbruch nicht nur in der Kirche gab, sondern einen Umbruch, der in die ganze Gesellschaft hinein ausstrahlte."