Ein brutaler, rücksichtsloser, völkerrechtswidriger Krieg habe viele Gewissheiten erschüttert, sagte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und Vorsitzende des Friedenspreis-Stiftungsrates, Karin Schmidt-Friderichs, zu Beginn der Feier. "Wir hätten alles ahnen können", wenn man die Texte und Gedichte und Musik von Serhij Zhadan früher gelesen, gehört und ernst genommen hätte.
Der Preisträger gebe Konzerte vor Menschen, die in ukrainischen Metrostationen Schutz suchten, lese Gedichte vor vollen Sälen, hole Menschen aus umkämpften Gebieten und verteile Hilfsgüter. Schmidt-Friderichs dankte Zhadan mit brüchiger Stimme dafür, dass er Zeugnis über den Krieg ablege.
"Nachdenklich und zuhörend, in poetischem und radikalem Ton erkundet Serhij Zhadan, wie die Menschen in der Ukraine trotz aller Gewalt versuchen, ein unabhängiges, von Frieden und Freiheit bestimmtes Leben zu führen", zitierte die Vorsitzende aus der Begründung bei der Übergabe der Urkunde. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.
Zhadan griff in seiner Dankrede auf Deutsch europäische Intellektuelle an, die von Frieden redeten und damit meinten, auch die Ukrainer sollten ihre Waffen niederlegen. "Es gibt keinen Frieden, wenn das Opfer der Aggression die Waffen niederlegt", sagte der Schriftsteller. Appelle an Menschen, die ihr Leben verteidigen, sie sollten die Waffen niederlegen, seien ein "falscher Pazifismus": "Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden!" Daher sei eine Kapitulation der Ukraine kein Weg zum Frieden. "Müssen wir das Recht auf unsere Existenz in Erinnerung rufen?", fragte Zhadan.
"Ist Europa bereit, sich der neuen Wirklichkeit zu stellen?"
"Was ist, wenn den Europäern bewusst wird, dass ihre warmen Häuser mit der Vernichtung von Ukrainern erkauft werden?", fragte der Preisträger weiter. "Inwieweit ist Europa bereit, sich der neuen Wirklichkeit zu stellen?" In dieser gebe es Massengräber, in denen Ukrainer liegen, russische Konzentrationslager für gefangene Ukrainer, zerstörte Städte, ausgebombte Schulen, vernichtete Bücher und tausende Tote.
"Wir sind für die Zukunft verantwortlich", bekräftigte Zhadan. "Sie entsteht aus unserer Verantwortungsbereitschaft." Das Publikum in der Paulskirche spendete eineinhalb Minuten lang stehenden Applaus.
Serhij Zhadan wurde in Starobilsk im Gebiet Luhansk geboren. Er studierte in Charkiw Literaturwissenschaft, Ukrainistik und Germanistik. Seit den 1990er-Jahren prägt er die Kulturszene Charkiws, veröffentlicht Gedichte, Erzählungen, Romane und Songtexte, singt in einer Rockband und organisiert Literatur- und Musikfestivals. Seit Jahren engagiert er sich für soziale und kulturelle Hilfsprojekte in der von prorussischen Separatisten besetzten Ostukraine.