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20. Oktober, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Schneewittchen – Der Usedom-Krimi"
Der Titel des achtzehnten "Usedom-Krimis" verrät fast zu viel, selbst wenn er sich erst im Nachhinein erschließt. Zunächst erzählt "Schneewittchen" jedoch ohnehin eine typische Mobbing-Geschichte: Der siebzehnjährige Theo wird regelmäßig von anderen Jugendlichen drangsaliert. "Versager können Streber nicht leiden", lautet die lapidare Erklärung eines Mitschülers.

Als der Junge offensichtlich in Folge von Gewalteinwirkung tot am Fuß einer Steilküste gefunden wird, fällt der Verdacht zunächst auf den Lehrer Brinkhaus (Thomas Dannemann), der bereits an einer früheren Wirkungsstätte wegen allzu großer Nähe zu seinen Schülern aufgefallen ist. "Wahre Liebe kann warten" hat er in einer Ausgabe von Henry Millers erotischem Klassiker "Stille Tage in Clichy" notiert, die er Theo geliehen hat.

Der Mann beteuert ein rein pädagogisches Interesse: In dem Jungen habe ein literarisches Talent geschlummert, das er wecken wollte. Die ehemalige Staatsanwältin Karin Lossow (Katrin Sass) kommt ins Spiel, weil sie die Jugendlichen auf der Handelschule im Rahmen eines Projekts in die Feinheiten der Juristerei einführt. Theo ist ihr nicht nur als Mobbingopfer aufgefallen. Sie hat gespürt, dass den Jungen etwas bedrückt, und fühlt sich daher mitverantwortlich. 

Weil sich Ellen Norgaard nach dem unprofessionellen Verhalten in "Gute Nachrichten" eine Auszeit in ihrer Heimat Dänemark gönnt und Lossows Großnichte Merle offenbar wieder bei ihrer Mutter weilt, muss "Schneewittchen" auf zwei der interessantesten Figuren des letzten Films verzichten. Zum Ausgleich rückt vom festen Ensemble der nun solo ermittelnde Neffe Witt (Till Firit) stärker in den Mittelpunkt, zumal das Drehbuch – Dinah Marte Golch hat diesmal mit Isabell Serauky und Emily Reimer zusammengearbeitet – seine private Geschichte weiter erzählt: Freundin Katharina (Milena Dreissig) hat ihren Job am Internationalen Gerichtshof hingeschmissen, aber keinen Plan B. Da fügt es sich gut, dass sich Staatsanwalt Brunner (Max Hopp) verändern will, was einen feuchtfröhlichen und entsprechend heiteren gemeinsamen Abend im italienischen Restaurant zur Folge hat. 

Ungleich maßgeblicher für die eigentliche Handlung sind jedoch zwei weibliche Episodengäste. Diese Ebene erzählt von den typischen Zusammenstößen zwischen einer Mutter und ihrer pubertierenden Tochter: Annett Ludwig ist die Schulsekretärin, eine betont bunt gekleidete, putzmuntere Frau, die angeblich ein Verhältnis mit einem Schüler hat; Christina Große versieht die Frau mit der geballten Energie eines zweiten Frühlings. Als Mutter zeichnet sich Annett jedoch durch eine gewisse Übergriffigkeit aus. Das führt regelmäßig zu Auseinandersetzungen mit der sechzehnjährigen Paula (Harriet Herbig-Matten), die vergeblich versucht, die Mutter auf Distanz zu halten.

Weil Lossow ein völlig anderer Typ als Annett ist, fasst Paula Vertrauen zu ihr; und langsam dämmert der früheren Juristin, die schon so viele Schicksalsschläge verkraften musste, was im eigentlich stimmigen Bild dieser Kleinstfamilie nicht stimmt. Doch auch im Leben von Theo gibt es ein dunkles Geheimnis: In einer Schatulle entdeckt Witte mehrere tausend Euro; das viele Geld hat der Musterschüler sicher nicht nur mit Nachhilfe verdient. 

Die Filme von Matthias Tiefenbacher, der auch "Gute Nachrichten" inszeniert hat, zeichnen sich generell durch eine große Sorgfalt in der Kameraarbeit (wieder Hanno Lentz) aus. In dieser Hinsicht fügt sich "Schneewittchen" ebenfalls vorzüglich in die Reihe ein. Ganz gleich, wer beim "Usedom-Krimi" bislang Regie geführt hat: Die Bildgestaltung ist immer wieder aufs Neue beeindruckend.

Wie zuletzt ergibt die Montage einen ruhigen Fluss, der nur einmal in Unruhe gerät, als zwei Ebenen auf überraschende Weise miteinander verknüpft werden: Hier fällt eine Teetasse vom Tisch, dort überschlägt sich die Kamera, weil zur gleichen Zeit Theo die Klippe hinunterstürzt. Ein weiteres Merkmal der Reihe ist der Versuch, die Figuren nicht den üblichen Klischees entsprechen zu lassen; und somit auch nicht die Mitwirkenden.

Robert Gallinowski zum Beispiel, notorisch als vierschrötiger Schurke besetzt, darf als Theos zutiefst schockierter Vater und Alkoholiker, der prompt einen Rückfall erleidet, endlich auch mal Zwischentöne spielen. Sehr sympathisch sind zudem die beiläufigen Heiterkeiten, wenn Brunner zum Beispiel seine Leute über den bevorstehenden Abschied unterrichten will und einfach nicht zu Wort kommt; nicht nur der stets ein wenig blasiert wirkende Staatsanwalt, auch Max Hopp wird der Reihe mit seiner unverwechselbaren Art fehlen. 

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