Immer mehr Menschen haben infolge von Kriegen, Klimawandel und anderen Krisen zu wenig zu essen. Die Zahl der Hungernden weltweit sei im vergangenen Jahr erneut auf 828 Millionen gestiegen, sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme in Berlin. "Eine toxische Mischung aus Kriegen und Krisen führt zur Katastrophe", warnte sie bei der Vorstellung des Welthunger-Index. Im Vorjahr lag die Zahl der chronisch unterernährten Menschen demnach noch bei bis zu 811 Millionen.
Der Hunger nehme weltweit dramatisch zu, sagte Thieme. "Der Krieg in der Ukraine verschärft bestehende Krisen", warnte die Präsidentin der Welthungerhilfe. Er habe bis August ein Viertel des weltweiten Getreidehandels zum Erliegen gebracht. Preisanstiege führten dazu, dass etwa in Haiti, Kenia und Bangladesch Mahlzeiten gestrichen würden. Multiple Krisen überlagerten und verstärkten sich gegenseitig. In Gebieten, die von Konflikten und Gewalt betroffen seien, lebten 60 Prozent der Hungernden.
Unter steigenden Nahrungsmittelpreisen litten die ärmsten und schwächsten Länder am stärksten, sagte Thieme. Vor diesem Hintergrund forderte sie dazu auf, geplante Mittelkürzungen der Etats des Auswärtigen Amts und des Bundesentwicklungsministeriums zurückzunehmen: "Die Bundesregierung sollte umsteuern und nachlegen." Die Bekämpfung von Unterernährung sei Friedenspolitik, sagte sie mit Blick auf mögliche Hungerrevolten.
Klimawandel erzeugt mehr Dürren und mehr Überschwemmungen
Ein Schlüsselfaktor für den negativen Trend ist laut Thieme der Klimawandel. Am Horn von Afrika herrsche derzeit eine der schlimmsten Dürren der vergangenen Jahrzehnte. Vom jüngsten Hochwasser in Pakistan seien 33 Millionen Menschen betroffen.
Während es seit dem Jahr 2000 in 32 Ländern Fortschritte bei der Bekämpfung des Hungers gegeben habe, verzeichneten Länder wie Kenia und Haiti eine dramatische Verschlechterung, sagte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge. In Haiti sei aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage selbst humanitäre Hilfe derzeit nicht möglich. "Nichts geht mehr in diesem Land", beklagte Mogge.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen rechnet die Welthungerhilfe mit einem weiteren Anstieg der Zahl Unterernährter. Nach Jahren sinkender Zahlen verzeichnete der Welthunger-Index eine Stagnation. In Lateinamerika und der Karibik stieg der Wert seit 2014 von 8,0 auf 8,8. Weltweit sank er im gleichen Zeitraum von 19,1 auf 18,2. Der Index stuft die Länder gemäß einer 100-Punkte-Skala ein. Werte zwischen 10,0 und 19,9 Punkte bedeuten mäßigen Hunger. Index-Werte von mehr als 50 signalisieren gravierende Unterernährung.
Russischer Krieg gegen Ukraine verschärft Hunger in der Welt
Der Krieg in der Ukraine werde auch 2023 und darüber hinaus den Hunger erheblich verschärfen, hieß es. Hinzu kämen strukturelle Ursachen wie Armut, Ungleichheit, mangelhafte Regierungsführung und Infrastruktur sowie geringe landwirtschaftliche Produktivität.
Der Welthunger-Index wird auf der Grundlage einer Formel berechnet, die bei den einzelnen Ländern Angaben zu Unterernährung, Wachstumsverzögerung, Auszehrung bei Kindern und Kindersterblichkeit kombiniert. 2022 wurden Daten aus 136 Ländern ausgewertet.